Ein Herzschlag bis zum Tod
würde Dumond nach seiner Familie fragen; Elise könnte etwas herausrutschen. Die Entführer stammten vermutlich aus Montreal, nicht von einem anderen Planeten.
»Natürlich können wir ihn nicht verstecken, aber wir werden versuchen, die Sache diskret zu behandeln, bis die Entführer |131| gefasst sind. Sie wollten heute schon mit ihm an der Zeichnung arbeiten, aber ich fand, er hatte genug. Er war müde und machte sich Sorgen um Sie – er hat ständig nach Ihnen gefragt.«
Ich verzog das Gesicht. »Ich habe mir auch Sorgen um mich gemacht – die schienen zu glauben, ich hätte etwas mit der Entführung zu tun. Dabei müssten sie nur Baker, meine Mitbewohner oder Paul fragen. Am schlimmsten war die Geschichte mit der Fähre – sie wollten es mir einfach nicht glauben.«
»Ja«, bemerkte Dumond und trank von seinem Kaffee, »es ist mir auch schwergefallen, das zu glauben.«
»Was zu glauben? Dass ich gesprungen bin?«
»Dass Sie ihn aus dieser Entfernung sehen und so weit schwimmen konnten und ein solches Risiko eingegangen sind, obwohl Sie sich nicht einmal sicher waren, dass es sich um ein Kind handelt.«
Ich sah ihn wortlos an. Er lächelte. »Paul hat uns erzählt, dass Sie aus dem Nichts aufgetaucht seien, wie durch Zauberei – er hielt Sie für einen Engel oder eine Seejungfrau wie Arielle. Nur hatten Sie Beine statt eines Fischschwanzes. Und jetzt, nachdem ich Sie und Ihr Dutzend Mitbewohner und Ihre Freundin Baker kenne, kann ich mir durchaus vorstellen, dass Sie von einer Fähre springen, um
vielleicht
ein Kind aus dem Wasser zu retten.«
Ich konnte kaum glauben, dass ich diesen Mann einmal beängstigend gefunden hatte, und grinste. »Ich habe kein Dutzend Mitbewohner. Nur vier oder fünf.«
»Und alle männlich.«
»Im Augenblick schon. Manchmal nehme ich auch eine Frau, aber mit Männern ist es einfacher. Sie machen mehr Dreck, aber weniger Mühe.«
Er zog die Augenbrauen hoch.
»Männer lassen mehr Kram herumliegen und spülen das |132| Geschirr nicht ab, vor allem nicht die jungen«, erklärte ich. »Frauen wollen aber immer das Sagen haben oder sich mit einem anfreunden. Oder beides.«
»Was ist so schlimm daran? Sie sind doch auch mit Zach befreundet.«
»Klar, aber mit ihm ist es einfacher. Wenn ich müde nach Hause komme und nicht reden will, gehe ich eben in mein Zimmer, und das macht ihm nichts aus. Eine Freundin dagegen will immer gleich wissen, was los ist, weshalb man sauer auf sie ist und so weiter.«
Dumond lachte. »Nun, damit haben Sie das Wesen der Ehe ziemlich genau auf den Punkt gebracht.«
Danach schwiegen wir wieder. Ich hatte einen Moment lang vergessen, dass er letztes Jahr um diese Zeit eine Frau und Paul eine Mutter gehabt hatte. Dafür gab es keine Entschuldigung.
Er räusperte sich. »Ich habe mich noch gar nicht richtig bei Ihnen bedankt. Dass Sie Paul gerettet haben. Dass Sie von der Fähre gesprungen sind und ihn wie eine Engel-Meerjungfrau gerettet haben«, sagt er mit einem Anflug des früheren Humors.
»Keine Ursache«, sagte ich. Niemand konnte verstehen, dass ich mich nicht bewusst entschieden hatte, Paul zu retten, sondern einem Zwang gefolgt war, dem ich einfach nicht hatte widerstehen können.
Er sah mir in die Augen. »Sie haben ihm das Leben gerettet und Ihr eigenes dabei riskiert. Sie hätten sterben können. Sie hätten beide sterben können.« Wir saßen schweigend da. »Und ich wollte mich auch entschuldigen.«
Ich sah ihn verwirrt an. »Wofür?«
»Die Sache in meinem Büro.« Als ich es nicht sofort kapierte, streckte er die Hand aus und berührte meine Kehle mit den Fingerspitzen.
Fast wäre ich zusammengezuckt. Ich hatte den Zwischenfall beinahe vergessen, doch nun war die Erinnerung wieder da: |133| intensiv, knisternd, beängstigend und intim. Ich konnte nichts sagen, mich nicht bewegen. Die Luft um uns schien dichter zu werden. Ich hörte seinen Atem und spürte beinahe den Rhythmus seines Pulsschlags. Er ergriff meine Hand ganz leicht, und ich musste mich zwingen, normal zu atmen.
Denk dran, der Mann ist nicht dein Typ,
mahnte ich mich.
Er hat vor kurzem seine Frau verloren. Er spielt in einer völlig anderen Liga. Denk dran, denk dran, denk dran.
Ich hatte es mir abgewöhnt, mich in unpassende Männer zu verlieben. Nie wieder.
»Keine Sorge«, sagte ich, wobei sich meine Lippen irgendwie taub anfühlten. »Ich hätte genauso gehandelt, wenn ich geglaubt hätte, Pauls Entführer vor mir zu haben. Vielleicht hätte ich noch
Weitere Kostenlose Bücher