Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
überden Tisch und blickte auf Estellas schmale Taille. »Bist du sicher?«
Estella nickte. »Ich war heute Morgen beim Arzt. Anschließend bin ich zu James’ Büro gegangen und habe dabei festgestellt, dass er gar nicht mehr dort ist. In meiner Verwirrung wollte ich zum Hyde Park, um dort mein Picknick zu essen, das ich für James und mich zur Feier des Tages vorbereitet hatte, als ich ihn plötzlich sah, wie er Davinia küsste ...«
»Was?« , stieß Tante Flo empört hervor. »Und was hat er gesagt, als du ihm von dem Baby erzählt hast?«
»Ich habe es ihm nicht erzählt. Und das werde ich auch nicht – niemals!«
Eine Geschichte, die sich wiederholt, dachte Flo. Sechsundzwanzig Jahre zuvor hatte sie genau dasselbe Gespräch mit Estellas Mutter geführt, als diese aus Australien zurückgekehrt war – schwanger mit Estella. Sie hatte es Ross auch nicht erzählen wollen, erst recht nicht, nachdem sie Marcus Wordsworth begegnet war. Doch Ross war Flos Bruder, und damals hatte Flo darauf bestanden, dass er es erfuhr. Nicht dass sich dadurch viel geändert hätte: Marcus hatte Estella wie ein eigenes Kind aufgezogen, und Ross hatte seine schöne Tochter nie kennen gelernt.
Flo richtete sich auf. »Estella, du kannst dich nicht vor James verstecken. London ist zwar eine Großstadt, aber er wird es trotzdem früher oder später erfahren.«
»Nicht unbedingt.«
»Willst du nach Rhodesien gehen?«
»Nein. Mutter und Vater kommen ja schon bald her, um Barnaby an der Universität einzuschreiben.«
»Stimmt, das hatte ich ganz vergessen. Caroline schrieb mir, dass dein Bruder mit der Highschool fertig ist und Ingenieurwissenschaften studieren will. Er wird Marcus immer ähnlicher. Aber gerade jetzt, wo das Baugewerbe in Rhodesien boomt, wundert es mich, dass Marcus herkommen will.«
»Sie wollen nur so lange bleiben, bis Barnaby einen Studienplatz gefunden hat. Dann gehen sie zurück nach Rhodesien.«
»Du solltest in deinem Zustand bei deiner Mutter sein, Estella – warum gehst du nicht einfach mit ihnen?«
»Sie kommen erst in einigen Wochen und bleiben dann mindestens zwei Monate. So lange kann ich nicht warten. Bis dahin wird man mir die Schwangerschaft ansehen. Wenn James die Scheidung so schnell hinter sich bringen will, wie ich annehme, wird er bis dahin entweder mit Davinia verheiratet sein oder zumindest die Hochzeit planen. Und ich habe nicht vor, zum Gespött der Londoner Gesellschaft zu werden.«
»Ich glaube, eines Morgens wird James die Augen aufschlagen und sich beim Anblick dessen, was neben ihm liegt, selbst zur Hölle wünschen!«
»Tja, dann wird es zu spät sein. Ich habe seinen wahren Charakter kennen gelernt, und deshalb muss ich fort von hier, Tante Flo, und zwar schnell. James darf niemals etwas von unserem Kind erfahren!« Sie sah den Kummer im Blick ihrer Tante und fügte hinzu: »Schau mich nicht so an, Tante Flo. James hat mir gesagt, dass ein Kind nicht in sein Leben passen würde – also verdient er es auch nicht, von der Existenz des Babys zu erfahren.«
»Er ist selbstsüchtig!«, schimpfte Tante Flo und nahm sich noch eines von den Plätzchen mit Sahne und Marmelade, die Estella gar nicht erst probierte. Auch den köstlichen Duft gebratenen Fleisches, der die Küche erfüllte, nahm sie nicht wahr. »Wo soll ich hin, Tante Flo? Wie soll ich für mein Kind sorgen?« Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen.
»Na, na, Liebes. Du hast gesagt, James sei nicht mehr in seinem Büro, also nehme ich an, dass er in ein größeres, standesgemäßeres Bürohaus umgezogen ist. Er muss also gut verdienen, Estella, und er ist verpflichtet, für deinen Unterhalt zu sorgen. Also brauchst du dir über Geld doch keine Sorgen zu machen.«
»Aber James sagt, er ist aus seinem alten Büro ausgezogen, weil er sich die Miete nicht mehr leisten kann, und wenn ich ihn recht verstanden habe, übernimmt die Bank unsere Villa. Wir sind finanziell am Ende, Tante Flo. James hat sogar behauptet, er habe sich schon große Summen bei Davinia geliehen.«
Flo starrte ihre Nichte entsetzt an. Dann sagte sie: »Du weißt doch, dass du hier bleiben kannst, solange du willst. Ich habe Mutters Zimmer nie vermietet ...« Estellas Großmutter hatte bis zu ihrem Tod bei Flo gelebt. Danach hatte Flo mit dem Gedanken gespielt, ihr Haus zu verkaufen und in Devon oder anderswo eine kleine Pension zu eröffnen. Doch sie hatte diesen Plan erst einmal aufgeschoben für den Fall, dass Estella ihre Hilfe
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