Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
gelernt.«
»Charlie, ich habe wirklich keine Lust, ausgefragt oder interviewt zu werden ...« Estella verstummte. Über Charlies Schulter hinweg sah sie einen Mann auf sich zukommen, der sich schon durch sein Äußeres von den anderen Ballbesuchern abhob. Sie ahnte, dass es sich um John Fitzsimmons handeln musste. Der Mann war groß und schlank, besaß sehr dunkles Haar und ein schmales Gesicht, für das seine Nase viel zu breit war. Inmitten all der zwanglos gekleideten Einheimischen und Farmer ließ der schwarze Anzug ihn wie einen Unternehmeroder Geschäftsmann aussehen. Er lächelte Estella zu, kaum dass ihre Blicke sich getroffen hatten, und begrüßte sie mit einer tiefen Baritonstimme, die fürs Radio wie geschaffen war.
»John, diese junge Dame ist Estella Lawford, unsere Tierärztin«, stellte Charlie sie vor.
»Das dachte ich mir schon«, sagte Fitzsimmons. »Ich freue mich sehr, endlich Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Lawford. Ich hatte schon befürchtet, dass Sie ein Produkt von Charlies Erfindungsgabe sind.«
Estella verzichtete darauf, seine Anrede zu korrigieren. Sie war nicht erpicht auf irgendwelche Fragen über einen Ehemann, der nicht mit ihr zusammenlebte. »Sagen Sie bitte Estella zu mir. Hier im Busch geht es nicht so förmlich zu.« Sie streifte Charlie, der bei ihren Worten eine Augenbraue hob mit einem Seitenblick, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
»Ich würde mich mit Ihnen gern über Stargazer unterhalten«, meinte John.
»Jetzt gleich?«, fragte Estella.
Bevor John antworten konnte, rief einer seiner Leute nach ihm. »Wir haben ein Problem mit der Übertragung«, sagte der Mann.
John wirkte verärgert. Seufzend meinte er: »Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir uns ein wenig später unterhielten?«
»Überhaupt nicht«, gab Estella erleichtert zurück.
Als John gegangen war, wandte sie sich an ihren Onkel. »Bitte heute Abend keine feierlichen Ankündigungen mehr, Onkel Charlie!«
Es war das erste Mal, dass sie ihn so genannt hatte, und er war ein wenig irritiert. Doch als er sich halbwegs gefasst hatte, wurde ihm klar, dass ihre Anrede ihm gefiel. »Aber ich kann nicht anders, Estella ...«
»O doch. Du kannst wenigstens warten, bis wir mit Sicherheit wissen, dass der Transport Marree verlassen hat. Das wäredoch das Vernünftigste, nicht wahr? Ich mag gar nicht daran denken, dass etwas schief gehen könnte!« Plötzlich füllten ihre Augen sich mit Tränen. Sie wusste selbst, dass sie sehr empfindlich war, doch sie konnte einfach keine weiteren Aufregungen mehr ertragen.
Charlie seinerseits entdeckte sein weiches Herz und gab nach. Er dachte daran, dass sie fast ihr Kind verloren hätte; außerdem hätte Ross von ihm erwartet, dass er sein Bestes für sie tat. »Schon gut, Estella. Ich weiß zwar noch nicht, wie ich es John erklären soll, aber ich werde mir etwas einfallen lassen.« Er bedachte sie mit einem seltsamen Blick, und Estella spürte, dass auch er sehr angespannt war.
»Danke, Charlie. Jetzt muss ich aber wirklich gehen. Ich bin sehr müde.« Bevor er etwas erwidern konnte, war sie fort.
Auf dem Heimweg dachte sie über Dan nach. Sie verstand, dass es schwierig für ihn gewesen war, nicht zu trinken. Er war nur ihretwegen zum Ball gegangen, und das fand sie ebenso rührend wie tapfer. Kurz überlegte sie, ob sie noch zum Krankenhaus gehen sollte, um ihm einen Besuch abzustatten, dann aber sah sie mehrere betrunkene Männer, die einen weiteren stützten in dieselbe Richtung stolpern, und entschied sich dagegen.
Bei Stargazers Stall blieb sie stehen, um den Hengst zu streicheln. »Na, wie geht es dir, mein Junge? Aufgeregt wegen morgen?«
»Er wird in Hochform sein«, sagte jemand, und Estella zuckte erschrocken zusammen. Es war Marty, der auf einem behelfsmäßigen Bett im hinteren Teil des Stalles lag.
»Was tun Sie denn hier?«, fragte Estella.
»Ich behalte Stargazer im Auge.«
»Fürchten Sie, jemand könnte versuchen, ihn außer Gefecht zu setzen?« Daran hatte Estella noch gar nicht gedacht. Da niemand ein großes Preisgeld zu erwarten hatte, erschien ihr dieser Gedanke lächerlich.
»Einen Champion wie Stargazer? Ganz sicher!«
Estella war entsetzt. »Ich habe davon gehört, dass so etwas in großen Städten ab und zu geschieht – aber hier draußen?«
»Hier draußen geht es noch schlimmer zu. Die Ehre einer station ist wichtiger als alles andere.«
Allmählich wurde Estella klar, dass sie über die Menschen im Outback noch viel
Weitere Kostenlose Bücher