Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
sie die Richtung zum Lagerfeuer ein.
Der Mond erhellte das Gelände, und sie setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Als sie stehen blieb, um den Sand aus ihren Schuhen zu schütten, huschte etwas vor ihr über den Weg. Es sah wie eine sehr große Maus mit spitzer Nase aus. Das seltsame Geschöpf hielt inne, und Estella beobachtete es fasziniert. Sie hatte alles über australische Beuteltiere und andere nachtaktive Lebewesen gelesen und war sicher, dass essich um einen Gelbfuß-Antechinus handelte. Sie erinnerte sich, dass dieses Tier sich an der Unterseite von Ästen entlanghangelte, und wenn es eine Beute verspeiste, stülpte es deren Fell säuberlich von innen nach außen.
Etwas später fiel ihr ein kaninchenähnliches Wesen auf, in dem sie sofort einen Bilby erkannte. Es hatte lange Hasenohren, war jedoch größer, mit einer sehr schmalen, spitzen Nase und einem langen schwarzen Schwanz mit weißer Spitze. Sein weiches Fell war bläulichgrau. Als Estella ganz still stehen blieb, begann das Tier zu graben und förderte eine Knolle zu Tage, die es ohne Hast genüsslich fraß.
Estella blickte sich weiter um und stellte fest, dass der Busch um sie her voller nachtaktiver Geschöpfe war. Sie hatte nicht gewusst, dass die Wüste um diese Zeit so voller Leben war, denn über Tag wirkte sie tot und leer. Kängurus und Emus waren für Estella inzwischen ein vertrauter Anblick, doch dann hüpfte eine Opossum-Familie in den nahen Bäumen herum und blickte mit großen, im Mondlicht leuchtenden Augen auf sie herab. Weniger als einen Meter vor ihr lief ein Echidna über den Weg und schenkte ihr so wenig Beachtung, als wäre sie ein Teil der Landschaft. Estella lächelte, denn der Echidna besaß viel Ähnlichkeit mit einem Igel. Der einzige erwähnenswerte Unterschied war die längere und spitzere Nase des Echidna. Das Tier begann mit seinen langen, scharfen Krallen einen Termitenhügel in der Nähe aufzukratzen; gleich darauf ließ es seine klebrige Zunge hervorschnellen und fing mit deren Hilfe die kleinen Insekten ein. Estella sah einen Wombat aus seiner Höhle kriechen und beobachtete, wie er auf Nahrungssuche davontrottete. Wieder musste sie lächeln, denn seine entschlossene Haltung und sein Gang besagten deutlich: »Aus dem Weg – jetzt komme ich!«
Gern hätte Estella das nächtliche Leben im Busch noch länger beobachtet, doch sie musste endlich weiter. Als sie fast bei den Bäumen angekommen war, blieb sie stehen, denn siemeinte, etwas Ähnliches wie eine Katze gesehen zu haben. Atemlos wartete sie darauf, dass das Wesen aus den dunklen Schatten unter den Bäumen hervorkam – und blickte dann bewundernd auf das gefleckte Fell des Tieres. Es hatte die Größe einer Katze, war jedoch rehbraun mit weißen Punkten auf Bauch und Rücken. Der Schwanz war buschig, mit einer weißen Spitze und schmaler Schnauze. Estella beobachtete, wie es einen Grashüpfer fing und ihn zufrieden verspeiste. Sie hatte von den so genannten »Quolls« gelesen, doch niemals damit gerechnet, je ein Exemplar dieser Art zu Gesicht zu bekommen. Es war einer dieser seltenen magischen Momente im Leben, die man am liebsten für immer bewahrte, und Estella fühlte eine tiefe Zufriedenheit in sich aufsteigen. Wenn sie dieses Erlebnis mit jemandem hätte teilen können, wäre ihr Glück perfekt gewesen. Doch sie war allein, und ihr Lächeln schwand gleichzeitig mit dem Gefühl der Verzauberung. Sie legte eine Hand auf ihren Leib und dachte an ihr Kind. Vielleicht würden sie eines Tages einen solchen Augenblick miteinander teilen – und bei diesem Gedanken kehrte ihr Lächeln zurück.
Als sie sich dem Lager der Aborigines näherte, hörte sie Stimmengewirr. Sie wurde nervös und hoffte ängstlich, Mai und Binnie im Lager anzutreffen. Leise ging sie weiter; dann beobachtete sie die Szene, die sich ihr bot, im Schutz eines Mulga-Strauches. Die Männer saßen am Feuer und unterhielten sich; die Frauen und Kinder saßen in einer eigenen Gruppe dahinter. Magere Hunde, die einander anknurrten und nach den anderen schnappten, liefen umher.
Estella stand erst kurze Zeit an ihrem Beobachtungsposten, als einer der Männer plötzlich den Kopf hob und in ihre Richtung blickte, als könne er ihre Anwesenheit spüren. Sie wäre am liebsten davongelaufen, wagte es aber nicht, aus Furcht, Lärm zu machen. Stattdessen hielt sie den Atem an und blieb ganz still stehen. Die Männer konnten sie nicht sehen, denn einüberhängender Ast verdeckte sie, und es
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