Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
Gedanken beschäftigt. Irgendwann in der Nacht hatte Estella gefroren und sich an Murphys warmen Körper geschmiegt. Beim Aufwachen stellte er fest, dass sie schlafend in seinen Armen lag, und betrachtete sie eine Weile voller Zuneigung. Es überraschte ihn, wie selbstverständlich essich anfühlte, sie so zu halten. Fast hätte er glauben können, sie und das Kind in ihrem Leib gehörten zu ihm. Doch als sie aufwachte, öffnete sie die Augen und sah ihn an wie einen Fremden.
Wieder machte es sie verlegen, ihm so nahe zu sein, und sie setzte sich rasch auf. »Ich kann mich gar nicht erinnern, eingeschlafen zu sein«, stellte sie fest und wich seinem eindringlichen Blick aus.
Er bestand darauf, dass sie gebackene Bohnen aus einer Dose aß, wollte jedoch selbst nichts davon. »Du musst an dein Kind denken«, sagte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Estella spürte, dass sein Beschützerinstinkt stärker geworden war. Zum ersten Mal seit langer Zeit und trotz der schlimmen Lage, in der sie sich befanden, fühlte sie sich wohl – doch sie behielt es für sich.
Kurze Zeit darauf sah sie, dass die Fliegen Murphys verletztes Bein umschwirrten. »Ich muss deinen Verband wechseln«, sagte sie. Ihre Sorge wuchs, dass seine Wunde sich durch die Hitze infiziert haben könnte – und ihre Befürchtungen sollten sich bestätigen. Als Estella die Mullbinden entfernt hatte, stellte sie fest, dass die Stelle vereitert war. »Du brauchst dringend ein Antibiotikum«, murmelte sie. Doch im Erste-Hilfe-Kasten der Maschine fand sich nur ein schwaches Antiseptikum, das sie fast schon aufgebraucht hatte. Wenn eine Rettungsmannschaft sie nicht binnen vierundzwanzig Stunden fand, konnte die Wunde brandig werden.
Estella dachte an die Buschmedizin, über die Mai ihr vieles beigebracht hatte. Billygoat-Kraut, Baumorchidee, Rohrdorn und Teebaum – all diese Pflanzen konnten in der Wundheilung verwendet werden. Der Teebaumstrauch oder Melaleuca kam am häufigsten vor, doch hier in der Simpson-Wüste gab es nicht allzu viele Exemplare davon. Trotzdem wusste Estella, dass sie mindestens einen solchen Strauch finden musste, sonst würde Murphy sein Bein verlieren.
Sie hielt sich immer in Sichtweite der Maschine und suchte geduldig das Gelände ab. Die Sonne blendete sie. Es war so heiß wie in einem Backofen, und sie kämpfte gegen ihre wachsende Verzweiflung an. Sie fand Billygoat-Kraut, das man zerstoßen und auf Wunden auftragen konnte, suchte jedoch weiter nach einem Teebaumstrauch, um aus dessen Rinde einen Aufguss zu bereiten und die Wunde damit auszuwaschen. Mai hatte ihr gesagt, es sei das beste natürliche Mittel gegen Infektionen im Busch. Eine ganze Stunde ging sie in einem weiten Kreis um das Flugzeug herum und wäre beinahe vor Freude in Tränen ausgebrochen, als sie endlich auf einen einsamen Teebaumstrauch stieß. Sie schälte die Rinde ab und eilte zur Maschine zurück. Als sie dort ankam, sah sie Murphy mit einem dicken Ast als Krücke draußen umherhumpeln.
»Ich helfe dir bei der Arbeit an der Landepiste«, sagte er, als er ihre entsetzte Miene sah.
»O nein, das wirst du nicht! Ich werde dein Bein mit einem Aufguss waschen, bevor du am Ende noch Wundbrand bekommst«, erwiderte sie energisch. »Leg dich wieder hin.« Der Ast, auf den Murphy sich stützte, wirkte nicht sonderlich vertrauenerweckend.
»Nein!«, stieß Murphy trotzig hervor. »Vergiss diesen Hokuspokus, Estella!« Er humpelte in Richtung der Landepiste.
»Murphy!«, rief sie ihm hinterher, doch er beachtete sie nicht. »Du eigensinniger Narr!«, murmelte sie ärgerlich. Sie hatte immer schon den Eindruck gehabt, dass ihm sein eigenes Wohl völlig unwichtig war – und das wunderte sie.
Aus der Teebaumrinde bereitete sie einen Aufguss und stellte ihn zum Abkühlen in den Schatten. Dann ging sie zur Landepiste, um Murphy zu suchen. Entsetzt sah sie ihn am Boden liegen, wo er sich vor Schmerzen wand. Die »Krücke« lag zerbrochen neben ihm; offensichtlich hatte der Ast unter seinem Gewicht nachgegeben.
Estella eilte zu ihm. Er war unglücklich gefallen – und dergebrochene Wadenbeinknochen hatte die Haut durchstoßen. Ein knapp drei Zentimeter langes Stück stach heraus.
»O Gott!«, stieß Estella hervor und presste eine Hand auf ihren Mund. Sie wusste, dass sie Murphy irgendwie aufhelfen und ihn zur Maschine zurückbringen musste, doch er wälzte sich schreiend von einer Seite auf die andere. Estella wusste sich keinen Rat mehr. Sie
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