Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
Tierarzt gesucht wird, hielt ich es für eine gute Möglichkeit. Ich freue mich auf die Arbeit in einem kleinen Ort.« Solange niemand in meiner Vergangenheitherumschnüffelt, fügte sie in Gedanken hinzu. Während des langen Fluges von England hatte sie Antworten auf all die Fragen geübt, von denen sie wusste, dass man sie ihr stellen würde. Und sie hatte beschlossen, niemandem zu sagen, dass sie Ross Coopers Tochter war – zumindest vorerst nicht. Ross war für sie ein Fremder, und es wäre ihr unrecht erschienen, sich auf ihn zu berufen.
Michael fragte sich, ob Estella wohl wusste, wie klein Kangaroo Crossing wirklich war. »Aber dann wäre eine Praxis in einem englischen Dorf doch genau das Richtige für Sie gewesen.«
»Nein. Ich wollte eine grundlegende Veränderung. Außerdem interessiere ich mich sehr für die australische Tierwelt.«
Estella hatte noch nie so viel gelesen wie während der Vorbereitungen auf diese Reise. Sie hatte sämtliche Bücher aus ihrer Studienzeit wieder ausgegraben und sich in der Bücherei Literatur über Rinder- und Schafzucht in Australien ausgeliehen, außerdem Bände über das Tierleben generell auf diesem Kontinent – alles, was sie bekommen konnte.
»Sie hatten also genug von Igeln und Eichhörnchen?«
Zum ersten Mal lächelte Estella. »Ja, und ich würde gern mehr über dieses seltsame Wesen erfahren, das es nur in Australien gibt – den Platypus.«
»Dann werden Sie leider enttäuscht sein.«
»Warum?«
»Weil es in Kangaroo Crossing für den Platypus zu trocken ist. Diese Tiere leben in Bächen und Flüssen, die stets Wasser führen, und haben ganz bestimmte Ansprüche an ihre Umgebung. – Wie viel Erfahrung haben Sie in Ihrem Beruf?«
»Ich habe viel Erfahrung mit Tieren, aber das hier wird meine erste richtige Stelle sein.« Eine Spur von Trotz schwang in Estellas Worten mit.
Wie sie erwartet hatte, wirkte Michael nicht sehr beeindruckt. »Ich hoffe, Sie meinen damit nicht, dass Sie als Kindein Kaninchen, eine Katze oder ein Hündchen als Haustier gehalten haben?«
Zorn stieg in Estella auf. »Hören Sie, Mr. Murphy ...«
Er stöhnte, als er das Wort »Mister« hörte.
»Hören Sie, Murphy, Ross Cooper ist schon seit Monaten nicht mehr am Leben, und mir scheint, dass sich nicht gerade Scharen von Tierärzten um seine Stelle bei Ihnen beworben haben. Es sieht eher so aus, als wären Sie und die Einwohner von Kangaroo Crossing auf mich angewiesen. Also sollten Sie sich langsam an den Gedanken gewöhnen.«
Murphy warf ihr einen Seitenblick zu und murmelte kopfschüttelnd: »Sie werden mich in vier Wochen auf Knien anflehen, Sie zurückzufliegen!«
»Das werde ich nicht«, gab Estella zuversichtlich zurück.
Es war nicht der Glaube an sich selbst, der ihr diese Sicherheit gab; es war das Wissen, dass sie niemals nach England würde zurückkehren können. Der Abschied von Tante Flo – in dem Bewusstsein, sie wahrscheinlich nie mehr wiederzusehen – war sehr schwer gewesen, doch Estella hatte versprochen, Briefe und Fotos zu schicken. Allein der Gedanke an diesen traurigen Abschied ließ ihr die Tränen in die Augen steigen. Rasch wandte sie sich zum Fenster und wischte sie mit einem Handrücken ab.
Michael Murphy sah sie an und spürte, wie aufgewühlt sie war. Sicher hatte sie jemanden zurückgelassen, der ihr viel bedeutete. Er wäre jede Wette eingegangen, dass entweder Estella selbst ein Herz gebrochen oder jemand sie tief verletzt hatte. Die meisten Menschen, die sich in das Outback zurückzogen, liefen vor irgendetwas davon. Michael selbst machte da keine Ausnahme.
Als sie schon sechs Stunden geflogen waren, ging Michael mit der Maschine in eine Linkskurve und ließ sie einige hundert Meter sinken.
»Die kleine Stadt da unten ist Marree«, erklärte er Estella.»Sie hieß früher Hergot Springs und war ein Verpflegungsposten für Kamelkarawanen, die Waren vom Ende der Eisenbahnstrecke nach Alice Springs transportierten. Alice ist die größte Stadt im Outback. Seit der Ghan durch die Stadt und weiter nach Alice Springs fährt, werden Kamele nur noch selten eingesetzt.«
»Der Ghan?«
»Der Afghan Express, der Zug aus Adelaide.«
»Fährt er auch durch Kangaroo Crossing?«
Michael entging nicht der Beiklang von Hoffnung, der in ihrer Stimme mitschwang. »Nein. Von Marree aus führt die Strecke nach Westen, den Oodnadatta-Track entlang. Wir fliegen in nordöstliche Richtung.«
»Es scheint keine große Stadt zu sein«, meinte Estella, als
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