Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
unverschämtem Grinsen sagte er: »Ich hatte nicht erwartet, Sie so schnell wieder auf den Beinen zu sehen!«
Estella erstarrte. Sicher hatte sie sich das leise Schuldbewusstsein nur eingebildet, dass sie aus seiner Stimme herauszuhören glaubte. »Und warum nicht?« Sie trug den Kopf hoch erhoben, während sie auf ihn zuging.
»Vor ein paar Stunden haben Sie nicht gerade wie das blühende Leben ausgesehen«, erwiderte er mit einem schadenfrohen Seitenblick zu einem der Männer und wandte sich ab, damit sie sein Grinsen nicht sah, doch sie ahnte es trotzdem. Sie fühlte die Blicke der anderen und wusste, was sie dachten: Sie war zu jung, zu unerfahren und – was am schlimmsten war – eine Frau aus der Stadt!
Estella wappnete sich innerlich. »Wirklich? Sie haben sich doch nicht etwa Sorgen um mich gemacht?«
Die Frage schien Michael zu überraschen. »Doch, natürlich«, gab er zurück.
Schwindler, dachte Estella. »Und da konnten Sie nicht mal ein paar Minuten erübrigen, um über die Straße zu gehen und sich zu erkundigen, wie ich mich fühle?«
Murphy wirkte vollkommen verblüfft. Die anderen Männer starrten ihn an, als glaubten sie, zwischen ihm und Estella habe sich etwas angebahnt, von dem sie nichts wussten.
»Sie sind bloß ohnmächtig geworden«, sagte Murphy. »Das ist ja nicht lebensgefährlich.«
Estella schäumte innerlich vor Wut, doch Murphy verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch. Dann sah er die anderen Männer an. Estella fragte sich, warum er sie ihnen nicht vorstellte, doch sie wollte verdammt sein, wenn sie es selbst tat. Sie war die einzige Dame im Raum und musste sich zumindest ein wenig von ihrer Würde bewahren.
»Sieht so aus, als könnte unsere neue Tierärztin den Anblick von Blut nicht ertragen«, meinte Michael Murphy.
Dieses Mal lachten die Männer laut, und Estellas grüne Augen sprühten Blitze. Doch sie war entschlossen, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. »Das stimmt nicht. Ich bin ohnmächtig geworden, weil ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte und außerdem die Hitze nicht gewohnt bin.«
»Wie wollen Sie dann hier draußen leben?«, fragte ein Mann, der weiter unten an der Theke saß. »Es wird verdammt heiß hier!«
Die Männer hatten zwar über Estellas Schwäche gelacht, doch sie machten sich bestimmt auch ernsthafte Gedanken darüber, ob sie im Stande war, ihr Vieh zu behandeln. Was das betraf, war Estella sich ihres Könnens sicher. »Ich werde mich schon daran gewöhnen«, gab sie zurück. Zum ersten Mal fragte sie sich, ob Frauen in dieser Bar überhaupt Zutritt hatten, doch ihr schien nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, danach zu fragen.
»Sie sind sehr jung für eine Tierärztin«, sagte der gleiche Mann. »Und nicht gerade kräftig!« Dabei musterte er sie so prüfend, wie er es wohl auch bei einem Stück Vieh getan hätte. Estella hatte damit gerechnet, dass ihr Alter und ihr Mangel an Erfahrung kritisiert würden, doch es verwunderte sie, dass jemand Anstoß an ihrer Statur nahm und dies auch aussprach. Die Offenheit des Mannes ging ihr etwas zu weit.
»Ich habe jahrelang studiert, um meinen Titel zubekommen«, sagte sie, entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. »Und ich bin kräftiger als ich aussehe – jedenfalls unter normalen Umständen.«
Die Männer wirkten wenig beeindruckt, und Estella fühlte sich plötzlich wieder sehr müde. Der Tag war endlos gewesen, und sie hatte wenig Lust, sich noch länger beleidigen zu lassen. »Wo ist mein Koffer, Mr. Murphy?«
»Ich habe ihn hier«, erklärte Charlie Cooper und zog das Gepäckstück hinter der Bar hervor.
»Vielen Dank«, sagte Estella. Michael Murphy griff danach, doch Estella bestand darauf, den Koffer selbst zu nehmen. Dieser Zeitpunkt war so gut wie jeder andere, den Männern zu beweisen, dass sie kein Schwächling war. Zwar war ihr schon wieder schwindelig, doch sie zwang das aufkommende Unwohlsein durch schiere Willenskraft nieder.
Als sie gehen wollte, fiel ihr Blick auf einen Mann weiter hinten am Schanktisch. Er verlangte laut nach einem weiteren Bier, obwohl er schon so betrunken war, dass er kaum mehr aufrecht sitzen konnte. Estella fühlte sich abgestoßen, als Charlie das Wort an den Mann richtete.
»Ich glaube, du hast genug, Dan«, sagte er leise, doch Estella verstand es trotzdem und starrte den Betrunkenen entsetzt an.
»Sie sind doch wohl nicht Dr. Dan, der Arzt?«
Der Mann wandte sich ihr zu. »Doch, der ... bin ich«,
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