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Ein Hologramm für den König

Ein Hologramm für den König

Titel: Ein Hologramm für den König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Filipinos.
    Es war an der Zeit, das Glas wieder zu füllen. Niemand konnte ihn hier sehen. Es war so gut, nicht gesehen zu werden. Den ganzen Tag war er mit dem jungen Team zusammen gewesen, immer wieder sichtbar, jemand, zu dem man vermutlich aufsah, ein Vorgesetzter. Selbst sich Schmalz aus den Ohren zu pulen, musste äußerst diskret und rasch erfolgen. Aber jetzt war er in diesem Zimmer. Niemand konnte das Blut sehen, das er sich vom Rücken tupfte. Niemand wusste von seiner heimlichen Operation, seinen diversen Entdeckungen. Er liebte dieses Zimmer. Konnte das sein? Aber er liebte das Zimmer wirklich, und er berührte die Wand, um es zu beweisen.
    Er goss sich einen weiteren Schuss von der klaren Flüssigkeit ins Glas. Es war nicht so viel. Nicht so viel. Die Flasche war noch halb voll. Als er wieder einen Schluck nahm, fand er es wunderbar. Es war mehr als wunderbar. Betrunken sein war wohltuend. Er sah den Reiz darin. Er schenkte wieder nach. Das zittrige Tickern von Glas auf Glas. Das Erlaubt-ist-was-gefällt-Plätschern der Flüssigkeit in den Kelch.
    Er stand auf. Das Hotelzimmer schien zu schwanken. Sein Körper war taub. Der Boden war eine Seilbrücke, ausgefranst und schaukelnd. Musste er sich übergeben? Nein, nein. Was würden die Saudis über einen Mann wie ihn denken, wenn er in so ein Zimmer kotzte? Er taumelte zum Bett, richtete sich auf und schaute in den Spiegel. Er sah, dass er lächelte. Es war wunderbar. Es war wie der Tag nach einem lebhaften Traum – den ganzen Tag hattest du das Gefühl, etwas Außergewöhnliches gemacht zu haben und dass der Tag eine notwendige und verdiente Erholung von dem Abenteuer war. Es war eine Bereicherung, die Verdoppelung eines Lebens. Und im Moment hatte er ein ganz ähnliches Gefühl. Er hatte das Gefühl, mehr zu sein als er selbst. Er hatte das Gefühl, etwas Außergewöhnliches zu tun. Es war wirklich eine wunderbare Zugabe zu dem Tag, weil die Farben der Straße so schön pulsierten, der Fußboden so schön schwankte.
    Die Wände waren seine Freunde. Es hatte was, dieses Trinken allein im Zimmer. Wieso hatte er das nicht schon früher mal gemacht? Er konnte das einfach machen, und niemand konnte Pfui sagen. Das alles hier war seins. Diese Betten waren seine. Der Schreibtisch, die Wände, das große Badezimmer mit dem Telefon und dem Bidet. Er ging hinüber zu seinem zweiten Bett und betrachtete seine Sachen, seinen Rasierapparat und seinen Reiseplan und seine Mappen und Ordner, ausgebreitet, bereit.
    Er betrachtete die Kissen am Kopfende des Bettes. Ihr seid so weiß, dachte er. Das klang schön, fand er, und er wollte, dass die Kissen es hörten. – Ihr seid so weiß, sagte er. Aber glotzt nicht so.
    Er kippte den letzten Schluck in sich hinein und füllte das Glas. Das hier ist ein Abenteuer, dachte er. Dieser schwarzgebrannte Schnaps macht aus mir einen Abenteurer. Und dann begriff er endlich, warum Leute allein Alkohol trinken und mehr trinken, als sie allein trinken sollten. Jeden Abend ein Abenteuer! Das ergab verdammt viel Sinn.
    Er musste Kit anrufen. Nein, nicht Kit. Aber irgendwen. Er nahm sein Handy. Es waren zwei Nachrichten drauf. Sie waren in der letzten Stunde gekommen. In Boston war Morgen. Er hörte die Mailbox ab. Die erste Nachricht war von Eric Ingvall. – Hey, mein Lieber. Hab nichts mehr von Ihnen gehört, daher geh ich davon aus, dass alles gut läuft. Melden Sie sich morgen, wenn Sie dazu kommen. Ich brauch einen Zwischenbericht.
    Die zweite Nachricht war von Kit. – Ruf mich an. Ist nichts Schlimmes.
    Das weckte erst recht den Wunsch in ihm, sie anzurufen, aber als er ihre sehr nüchterne und sehr leise Stimme hörte – Kit war zierlich und ihre Stimme war hoch, wenn auch immer fest und immer klar –, wurde ihm bewusst, dass er heute Abend nicht gut klingen würde. Er war müde, und er war betrunken, er wusste jetzt zweifelsfrei, dass er betrunken war, und kein Vater sollte in so einem Zustand seine Tochter anrufen, erst recht nicht, wenn er ihr das Vertrauen einflößen will, dass er imstande ist, für sie zu sorgen.
    Er setzte sich an den Schreibtisch und schrieb.
    »Liebe Kit, Elternsein ist ein Härtetest. Du musst das Durchhaltevermögen eines Triathleten haben. Es heißt immer, Es geht so schnell. Sie werden so schnell groß . Aber ich kann mich nicht erinnern, dass es je schnell gegangen ist. Es waren zehntausend Tage, Kit, und es hat einen militärischen Sinn für Ordnung und Präzision verlangt. Du bist nie zu spät

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