Ein Hologramm für den König
heute aufbauen?, fragte Rachel.
Alan wusste es nicht.
– Warten wir noch bis morgen, sagte er.
Die Erklärung schien ihnen zu genügen, denn sie gingen zurück zu ihren jeweiligen Ecken und Bildschirmen. Alan stand in der Mitte des Zeltes, unsicher, was genau er mit sich anfangen sollte. Er hatte keine spezielle Arbeit zu erledigen oder Telefonate zu führen. Er zog sich in die verbliebene Ecke zurück, setzte sich und tat nichts.
XV.
ES WAR HALB ACHT , als Alan befand, es sei an der Zeit, sich der Besinnungslosigkeit zu überlassen. Er war um sechs zurück ins Hilton gekommen, hatte gegessen und wollte jetzt nur noch einen halben Tag schlafen. Er öffnete die Olivenölflasche. Der Geruch war medizinisch, toxisch. Er trank einen Schluck. Die Flüssigkeit brannte ihm wie Säure im Mund, als würde sie ihm den Gaumen, die Kehle verätzen. Hanne hatte ihn reingelegt. Wollte sie ihn umbringen?
Er rief sie an.
– Was haben Sie mit mir vor?
– Wer ist denn da?
– Alan. Der Mann, den Sie umbringen wollen.
– Alan! Wovon reden Sie?
– Ist das Benzin?
– Rufen Sie übers Hoteltelefon an?
– Ja. Warum?
– Die Verbindung ist nicht besonders. Rufen Sie mich von Ihrem Handy aus an.
Und er tat es.
Ihre Stimme war ungehalten. – Alan, das Zeug ist hier nicht legal. Sie sollten also nicht übers Hoteltelefon mit mir darüber reden.
– Glauben Sie wirklich, die lassen Telefone abhören?
– Nein, glaub ich nicht. Aber die Leute, die in Saudi-Arabien zurechtkommen, haben gelernt, vorsichtig zu sein, das heißt, unnötige Risiken zu vermeiden.
– Dann ist es also kein Benzin? Oder Gift?
– Nein. Aber es ist ungefähr vergleichbar mit Kornbranntwein.
Alan schnüffelte am Flaschenhals.
– Entschuldigen Sie mein Misstrauen.
– Schon gut. Ich bin froh, dass Sie angerufen haben.
– Ich glaub, ich brauche einfach Schlaf.
– Nehmen Sie ein paar Schlucke, und Sie werden schlafen.
Er legte auf und trank wieder einen Schluck. Sein Körper zitterte. Jeder Tropfen verätzte ihm die Kehle, doch sobald die Flüssigkeit seinen Magen erreichte, spürte er eine Wärme, die den Schmerz wettmachte.
Er nahm die Flasche und ging auf den Balkon. Vom Strand her wehte kein Lüftchen. Seit seiner Ankunft im Hotel war es höchstens noch heißer geworden. Er setzte sich und legte die Füße auf die Brüstung. Er trank einen weiteren Schluck aus der Flasche. Er dachte an Kit. Er ging wieder hinein, suchte das Hotelbriefpapier und nahm drei Blätter mit auf den Balkon.
Er schrieb auf dem Schoß, die Füße auf dem Geländer.
»Liebe Kit, Du sagst, Deine Mutter war immer ›emotional unzuverlässig‹ und ist es noch heute. Das stimmt in gewisser Weise, aber wer von uns ist in allen Jahreszeiten gleich? Ich persönlich bin seit Jahren ein bewegliches Ziel, findest Du nicht auch?«
Nein, er musste konstruktiver sein.
»Kit, Deine Mutter ist aus einem anderen Holz geschnitzt als Du und ich. Explosiver und entzündlicher.«
Er strich das durch. Das Tragischste an Ruby war, dass er sich wie ein Schwein anhörte, wenn er über sie sprach. Sie hatte ihn sehr verletzt, wiederholt – sie hatte ihn aufgerissen, alles mögliche schreckliche, verderbliche Zeug in ihn reingeworfen und ihn dann wieder zugenäht –, aber Kit durfte das nicht wissen. Er trank wieder einen Schluck. Eine Taubheit machte sich in seinem Gesicht breit. Er trank noch einen größeren Schluck. Himmel, dachte er. Er hatte eine Menge intus, die zwei Whisky entsprach, und fühlte sich bereits schwerelos.
Alan ging hinein und klappte seinen Laptop auf. Er wollte seine Tochter sehen. Sie hatte ihm kürzlich ein Foto gemailt, sie mit zwei Freundinnen, alle in Businesskostümen, beim Besuch einer Art Sommerjobbörse in Boston. Sie war noch immer durch und durch Kind, mit einem Engelsgesicht, das länger jung bleiben würde, als es irgendwem zustand. Er öffnete seine Fotos und fand das, nach dem er suchte. Ihr Gesicht war darauf rosig, rund, sommersprossig und glänzend. Ihre Freundinnen, deren Namen er wissen sollte, aber nicht abrufen konnte, lehnten gegeneinander, sodass ihre Köpfe sich berührten – eine Pyramide aus jugendlicher Hoffnung und Naivität.
Er war schon in dem Fotoprogramm, das große Raster seines Lebens in Miniaturansicht, also suchte er rückwärts. Es war alles da, und es erschreckte ihn. Zu Alans letztem Geburtstag hatte Kit ein paar Dutzend Fotoalben aus seiner Garage geholt und sie zu einem Service geschickt, der die Bilder scannte
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