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Ein Hologramm für den König

Ein Hologramm für den König

Titel: Ein Hologramm für den König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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abgebissenen Fingernägeln, fragte er nach der Nähe der Geschwulst zu seinem Rückgrat, der Wahrscheinlichkeit, dass sie der Grund für seine Unbeholfenheit war, seine Trägheit, seine Antriebsschwäche, all die anderen Wehwehchen und Schwächen, die er gespürt hatte.
    – Nein. Ich sehe da keinerlei Zusammenhang.
    – Ich möchte bloß ganz sicher sein. Es würde so manches erklären. Er zählte seine Beschwerden auf, seine vielen diffusen Sorgen.
    – Und Sie haben das Gefühl, dieser Knoten ist die Ursache für das alles? Sie sah ihn an, studierte ihn, mit einem warmen Lächeln.
    – Ist das unwahrscheinlich?
    – Ich würde sagen, es ist unwahrscheinlich.
    – Ich muss einfach von jemandem hören, dass mir nichts fehlt.
    – Ihnen fehlt nichts.
    – Aber Sie waren noch nicht da drin.
    – Nein, aber ich weiß, was es ist.
    Als wollte sie seine Besorgnis würdigen, sah sie sich den Knoten noch einmal an, betastete ihn, schien ihn mit den Fingern zu messen.
    – Es kann wirklich nichts anderes sein als ein Lipom.
    – Okay, sagte er.
    Sie trat wieder vor ihn und setzte sich dann. Sie blickte ihn direkt an, die Augen weit offen, und sah ihm eindringlich ins Gesicht.
    – Das hat Ihnen wirklich Sorgen gemacht, was?
    Er räusperte sich. Irgendwas saß ihm plötzlich im Hals.
    – Ich mache mir überhaupt viele Sorgen, sagte er.
    Sie stand auf und notierte sich etwas auf dem Krankenblatt.
    Alan hatte plötzlich einen Gedanken, der zuvor nicht hochgekommen war, aber schon die ganze Zeit da gewesen sein musste: Falls der Knoten Krebs war und er bald sterben würde, dann bräuchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Finanzieller Ruin wäre keine Sorge mehr. Kits Studiengebühren und Zukunft wären keine Sorgen mehr. Bestimmt wurden Studiengebühren erlassen, wenn Väter starben.
    Dr. Hakem nahm Verbandsmaterial aus einer Schublade und widmete sich wieder seinem Nacken. Sie stand hinter ihm, und er atmete tief ein. Er hoffte auf einen luftigen, sonnigen Duft, aber ihrer war etwas anderes. Er konnte ihn nicht einordnen. Er dachte an Bäume, Erde. Der Duft war moschusartig, satt. Er dachte an einen Wald nach Regen, einen Hauch von Wildblumen.
    – Ich hatte genau das Gleiche vor ein paar Jahren, sagte sie. Ein Engegefühl in der Brust. Wie eine Panikattacke, ein Gefühl wie bei einem Herzinfarkt. Und ich war sicher, nach einem EKG und so weiter würde ich erfahren, dass ich ein Herzgeräusch hätte oder Rhythmusstörungen, etwas, das meine Erschöpfung und alles erklären würde.
    Sie gab etwas Salbe auf einen Wundverband, klebte ihn auf seinen Nacken und kehrte zu dem Hocker vor ihm zurück.
    – Und?, fragte er.
    – Und es war nichts.
    – Schade, sagte Alan, und sie lachten beide.
    – Wir haben unsere blöde gute Gesundheit am Hals, sagte sie, und er lachte lauter. Aber im Ernst, ich kann verstehen, dass Sie besorgt waren. Die Position der Geschwulst muss einem ja Sorgen machen. Also werden wir sie entfernen, und dann wissen wir es ganz genau. Was meinen Sie?
    Er blickte noch immer zur Wand. Er wusste nicht, ob er sich zu ihr umdrehen sollte. Er warf einen Blick in ihre Richtung und sah, dass sie ihn direkt anschaute, die Augen unverwandt, riesig. Sie waren braun, mit grünen und grauen und goldenen Speichen. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Sie konnte irgendwo zwischen vierzig und fünfzig sein, vielleicht ein bisschen älter. Unfähig, ihrem ruhigen Blick standzuhalten, schaute er nach unten. Ihre Schuhe waren modisch, mit niedrigen Absätzen und Riemchen. Er wandte sich wieder ab, konzentrierte sich auf die Wand, auf ein Bündel Kabel dort, verschlungen wie Arterien, die den Raum verließen und den Flur hinunterstrebten.
    – Ich kann die OP in etwa einer Woche machen. Passt Ihnen das?
    Alan hatte mit großer Inbrunst gehofft, in einer Woche aus diesem Land verschwunden zu sein, doch er stimmte automatisch zu. Sie vereinbarten einen Termin, und sie stand auf.
    – Dann bis bald, Alan.
    – Danke.
    – Keine Sorge.
    – Okay.
    – War nett, Sie kennenzulernen.
    – Ganz meinerseits.
    Im Empfangsbereich tigerte Yousef auf und ab wie ein werdender Vater. Als er Alan sah, wurden seine Augen groß.
    – Und was ist es?
    – Gutartig. Es ist harmlos. Ein Lipom.
    – Es ist kein Krebs.
    – Sie meint, nein.
    Yousef schüttelte Alan die Hand. – Ich bin sehr froh.
    – Ich auch.
    – Abdullah ist in Riad. Hab ich im Radio gehört.
    Alan wusste nicht, ob er erleichtert war oder nicht.
    Sie verließen das Gebäude.
    –

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