Ein Hologramm für den König
plötzlich packte das wie auch immer geartete Instrument, das sie in der Hand hielt, etwas in ihm und zog. Der Brustkorb schnürte sich ihm zusammen. Der Druck war extrem. Er stellte sich eine Art Haken vor, der in seinen Rücken stieß, eine Kaumasse packte, versuchte, sie rauszuziehen, zu lösen. Ihm wurde bewusst, dass noch nie irgendetwas aus seinem Körper entfernt worden war. Das hier war neu und war nicht natürlich. Mein Gott, dachte er. Wie seltsam, Hände in mir drinzuhaben. Instrumente, die zupacken, schaben. Mein Gott. Alan war hohl, sein Körper ein Hohlraum voll nasser Dinge, ein chaotisches Durcheinander von Beuteln und Schläuchen, alles blutdurchtränkt. Mein Gott. Mein Gott. Das Schaben hielt an. Das Ziehen. Er spürte, wie ein Lappen Rinnsale auffing, die ihm am Hals hinuntergeflossen waren, Richtung Bett.
Falls er das hier unbeschadet überlebte, würde Alan sich bessern, das schwor er sich. Er würde stärker sein müssen. Seine Mutter hatte versucht, seine Stärke zu fördern, ihn zu inspirieren. So las sie ihm manchmal Passagen aus dem Tagebuch irgendeiner entfernten Verwandten vor, einer Frau, die in den Wäldern gelebt hatte, irgendwo im Westen dessen, was heute Massachusetts war. Sie hatte mit angesehen, wie ihr Mann und zwei ihrer Kinder von Indianern umgebracht wurden, und war selbst verschleppt worden. Sie lebte fast ein Jahr bei ihren Entführern, ehe sie wieder freigelassen wurde. Sie sah ihre Tochter wieder, die einzige andere Überlebende des Überfalls, und gemeinsam begannen sie, in Vermont eine florierende Milchfarm von fast 1500 Hektar aufzubauen. Sie stand einen harten Winter durch, in dem das Dach ihres Hauses unter der Schneelast zusammenbrach und ihr ein Balken aufs Bein stürzte, das bald darauf amputiert werden musste. Sie überlebte eine Pockenepidemie, bei der ihre Tochter starb, die sich gerade verlobt hatte. Der Verlobte zog zu ihr auf die Farm und betrieb sie noch, als sie mit einundneunzig starb. Möchtest du jetzt lieber hier sein , sagte Alans Mutter gern, oder verschleppt werden und mit nur einem Bein irgendwo in den Wäldern leben ? Sie hatte kein Verständnis für Jammerei, für irgendeine Form von Unbehagen inmitten ihres behaglichen bürgerlichen Lebens. Vierzig Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg, sagte sie oft. Fünfzehn Millionen im Ersten. Worüber hast du dich vorhin noch mal beschwert?
Alan konnte Gespräche in verschiedenen Sprachen hören. Ein bisschen italienisches Gemurmel rechts von ihm. Arabisches Geplapper irgendwo bei seinen Füßen. Und noch immer das fröhliche Summen des chinesischen Anästhesisten. Es wunderte ihn, dass sie sich alle damit abfanden, mit seiner geisteskranken, frenetischen Melodie, aber keiner sprach ihn deswegen an. Der Anästhesist schien in seiner eigenen Welt zu sein, zufrieden mit sich und nur beiläufig mit der laufenden Operation beschäftigt.
– Ich gehe jetzt tiefer, Alan, sagte Dr. Hakem.
Die Bewegung war jetzt die eines Eiscremeverkäufers, der hineinstieß, drehte, heraushob. Dann erneutes Tupfen, Wischen. Alan sah im Geiste sein Blut aufsteigen, über seinen Rücken fließen, endlich frei.
Er konnte Dr. Hakem atmen hören, mühsam, während sie zog und tupfte. Eine Reihe von Schnappgeräuschen ertönte, als könnte die gummiartige Substanz in ihm nur durch ein äußerst kraftvolles Zerren gelöst werden. Alan erwog die Möglichkeit, dass Dr. Hakems Schweigen der Beweis dafür war, dass sie etwas gefunden hatte. Unter der gutartigen Masse des Lipoms hatte sie etwas gefunden. Etwas Schwarzes und Schicksalhaftes.
Alan versuchte, seinen Verstand anderweitig zu beschäftigen. Er dachte an das Meer, das Zelt, daran, was die jungen Leute jetzt wohl machten. Er stellte sich vor, wie man sie von seinem Tod hier verständigte, auf diesem Tisch in diesem Raum aus blauen Zementsteinen. Was würden sie sagen? Sie würden sagen, er habe gern lange Spaziergänge gemacht. Gern lange geschlafen.
Er dachte an Kit. Kit allein, ohne ihn. Das wäre problematischer. Ruby brauchte ein Gegengewicht. Er hatte Kit vor einem Jahr weggeholt, als sie und ihre Mutter gestritten hatten. Er hatte sie von der Schule genommen, und sie waren nach Cape Canaveral gefahren, um das Shuttle zu sehen. Es waren nur noch wenige Flüge geplant.
Am Tag vor dem Start nahmen sie an einer Führung über das Gelände teil. Die Stimmung unter den NASA -Leuten war explosiv – düster, verbittert, gelöst, trotzig. Ein Werbevideo behauptete, dass die NASA
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