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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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Kopf.
    Natalie verspürte immer mehr Unbehagen. Was veranlasst Menschen aus dem 21. Jahrhundert, sich freiwillig in eine so düstere Zeit wie das Mittelalter zurückzuversetzen?, fragte sie sich. Was ist dran an Pest und Cholera, Hexenverbrennung, Kreuzzügen und Folterkammern? Man muss doch bescheuert sein, hier … Spaß und Verachtung , hörte sie auf einmal die Stimme von Theodor Silberstadt in ihren Ohren widerhallen.
    »Okay, okay«, flüsterte Natalie und streckte die Schultern. Ich werde jetzt mal so richtig Spaß haben. Jetze . Sie atmete tief ein, dann näherte sie sich der »Met-Met-Met« rufenden Häubchenfrau.
    Wie albern sie aussieht, schoss es Natalie durch den Kopf.
    Doch dann schob sie auch diesen Gedanken beiseite. Was auch immer Met war und wie ekelhaft es auch schmecken würde, Natalie war bemüht, nichts Verachtendes darüber zu denken.
    Es würde nicht einfach werden.
    ▶◀
    »Warum malt ein Jude überhaupt so besessen Hummer?«, hatte Theodor am frühen Abend im Atelier zu David gesagt, der gerade in knalligem Pinkorange einen Riesenhummer vollendet hatte.
    »Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?« David schien verärgert. Seine Hummerphase lag eigentlich schon längst hinter ihm. Unzählige Hummermotive hatte er im vorletzten Jahr auf großdimensionale Leinwände gemalt. Der Tiefkühlschrank war voller Atlantikhummer gewesen, und es gab nicht einmal mehr Platz für eine Flasche Wodka.
    Nach einer Weile war David der leblosen Hummermodelle allerdings überdrüssig geworden und hatte sich in die Lebensmittelabteilung des KaDeWe begeben, um sich einen lebendigen Hummer zu besorgen. Doch er war nicht wirklich warm mit ihm geworden. Vor allem die Frage, was er nach der Sitzung mit ihm anstellen würde, verhinderte den kreativen Fluss.
    Mit Todesverachtung seine Fühler schwenkend, hatte der Hummer auf einem Tisch im Atelier gehockt und sein Umfeld ignoriert. Kurz erwog David, ihm einen Namen zu geben.
    Hey, Karsten, sei doch mal locker, wollte er gerade sagen, da bewegten sich auf einmal die spinnenhaften Beine des Tieres, und es begann, sich langsam, aber stetig der Tischkante zu nähern.
    »Bleib, wo du bist!«, schrie David, ließ den Pinsel fallen und eilte mit einem Suppentopf herbei, in den der namenlose Hummer mit schaurigem Geklapper fiel. Er füllte den Topf mit Salzwasser, knallte einen Deckel darauf, rief sich ein Taxi und fuhr, den Topf auf dem Schoß, zum KaDeWe zurück. »Kann ich Ihnen den Hummer zurückgeben?«, flehte er die Verkäuferin in der Fischabteilung an.
    »Wir tauschen grundsätzlich keine Lebensmittel um«, antwortete sie knapp.
    »Er ist kein Lebensmittel. Er ist ein Hummer.«
    »Kochen Sie ihn einfach.«
    »Das würde ich nie fertigbringen!«, rief David. »Er ist Teil einer künstlerischen Vision. Verstehen Sie doch. Er lebt, es geht ihm gut. Ich schenke ihn Ihnen!«
    »Hören Sie«, sagte die Fischverkäuferin und arrangierte einige Sprotten in einer Holzkiste. »Wenn das Wasser im Topf sprudelnd kocht …« Sie blickte mit strengem Blick auf. »… es muss aber wirklich kochen! Dann werfen Sie den Hummer, Kopf zuerst, hinein.« Sie wandte sich wieder den goldfarbenen Sprotten zu. »Wollen Sie allerdings mehrere Hummer auf einmal zubereiten, achten Sie darauf, dass die nachfolgenden Tiere das Kochwasser nicht zu sehr abkühlen. Das wird sonst eine ziemliche Quälerei für die Viecher, und es ist ratsam … Hallo? Wo gehen Sie denn hin?«
    David nannte den Hummer »Howard« und brachte ihn ins Berliner Aquarium, wo er ihm die Scheren tätschelte und sich von ihm verabschiedete. Mit dieser symbolträchtigen Geste, die er mit seiner Super-8-Filmkamera festhielt und sie später gern als Lobster-Performance bezeichnete, war seine Hummerphase eigentlich beendet gewesen.
    »Das ist ein Rückfall-Hummer«, erklärte er nun und rieb ungehalten an seinem rosa gesprenkelten Handrücken herum. »Und ich habe jetzt überhaupt keine Lust, mein Verhältnis zum Judentum mit dir zu diskutieren.«
    Theodor nickte ernsthaft. »Ich wollte nichts diskutieren. Nur darauf hinweisen, dass du immer wieder diese unkoscheren Schalentiere malst und dass …«
    »Seit wann habe ich denn was mit koscher am Hut?«, schrie David, und sein Gesicht nahm dieselbe Farbe an wie der Hummer auf der noch feuchten Leinwand.
    »Ja, eben«, erwiderte Theodor mit sanfter Stimme. »Genau da liegt vielleicht der Hase im Pfeffer. Hast du darüber schon einmal nachgedacht?«
    Dann war alles sehr schnell

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