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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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gegangen. David hatte nach dem halbvollen Topf »Zinnoberrot« gegriffen und ihn brüllend gegen die Leinwand geschmettert. Theodor konnte im letzten Augenblick beiseitespringen.
    »Spinnst du?«, rief er. »Beinahe hättest du meinen Burberry-Blazer ruiniert!«
    Zitternd stand David da. »Ich halte das nicht länger aus!«, schrie er.
    »Jetzt sieh dir die Schweinerei an«, schimpfte Theodor. »Die schönen Dielen!«
    »Ich brauche mehr Raum«, sagte David. Mit weit aufgerissenen Augen sah er Theodor an. »Du setzt mich so enorm unter Druck.«
    »Ja, was denn nun?« Theodor war ein wenig verunsichert. Er kannte Davids gelegentliche Wutausbrüche, die aber meist inszeniert wirkten. Diesmal war irgendetwas anders.
    Davids Pupillen sahen aus wie schwarze Murmeln. »Ich will mich von dir trennen«, flüsterte er und ließ die Arme hängen.
    Das ist also das Ende, dachte Theodor, der sich schwer atmend in der Nähe des Hackeschen Marktes wiederfand. Wie ein Gejagter war er durch die Straßen gerannt. Er wollte diesen schrecklichen Satz abhängen, aber er hallte ihm durch den ganzen Körper. »Der spinnt doch«, murmelte Theodor und ließ sich an einer Tram-Haltestelle nieder. »Das kann doch nicht wahr sein.«
    So viele Jahre Vertrautheit, Gemeinsamkeit, Partnerschaft, mit einem Satz zunichtegemacht. Theodor stöhnte auf. Die alte Frau, die neben ihm auf die Trambahn wartete, sah ihn misstrauisch an.
    Theodor sprang wieder auf. Er musste in Bewegung bleiben, er wollte nicht, dass sich der Schmerz in ihm festsetzen konnte, und schon rannte er weiter, wusste gar nicht, wohin, egal, nur weiter, weiter, weg von hier.
    Mit langen Schritten machte er sich auf einen Weg ohne Ziel.
    ▶◀
    Erschreckend süß, noch viel süßer als befürchtet, schmeckte das lauwarme, pissegelbe Zeug, und nach Honig, den sie sowieso nicht leiden konnte. Und nach Gegorenem. Eine Vorstellung von sich zusammenziehenden Geschmacksknospen kam Natalie in den Sinn, ein rückwärtslaufender Film aufblühender Rosen. Hoffentlich kann ich überhaupt jemals wieder etwas schmecken, dachte sie. Nach diesem Schreck.
    Met war widerlich. Sie hatte es doch gewusst: ein Geschmack von Daumenschrauben und Beulenpest und … in diesem Moment sah sie eine große, schlanke Gestalt vorüberlaufen. Ihr Gehirn, eben noch mit mittelalterlichen Gräueln befasst, fokussierte sich langsam wieder auf das Jahr 2010, und Natalie überlegte, wo sie diesen eleganten Mann, der in gemächlichem Trab lief, als hätte er vor, noch die ganze Nacht so weiterzulaufen, schon einmal gesehen hatte. Wie ein Massai-Krieger kam er ihr vor, ein weißer Massai-Krieger ohne Federschmuck, in einem karierten Blazer. Natalie kicherte. Eins musste man der trüben Hexenbrühe ja lassen: Sie stieg schnell zu Kopf. Und dann fiel ihr trotzdem ein, wer der karierte Krieger war: ihr Therapeut.
    Sie drehte sich schnell weg. Der hatte ihr gerade noch gefehlt. Augenblicklich bekam sie ein schlechtes Gewissen. Hatte sie ihre Hausaufgaben gemacht? Um welche Begriffe war es noch gleich gegangen? Stolz und Vorurteil? Spaß und Verachtung. Natalie nahm vorsichtig einen weiteren Schluck Met, und erstaunlicherweise schmeckte er nicht mehr ganz so umwerfend ekelerregend wie beim ersten Mal. Kein Wunder, dachte sie, mit abgestorbenen Geschmacksknospen lässt sich einiges auf dieser Welt ertragen. Vorsichtig drehte sie sich wieder um. Da stand er ja, mit dem Rücken zu ihr am Feuer. Er ließ den Kopf hängen, und seine Schulterblätter hoben und senkten sich heftig. Was war los mit ihm? Natalie positionierte sich wie zufällig hinter einem Pärchen, das gemeinsam an einer Bratwurst nagte. Widerlich, dachte Natalie. In spätestens einem halben Jahr haben sie sich über. So ist es doch immer, schwer verliebt geht es los, man knabbert glücklich vereint an allem Möglichen, an Ohrläppchen, an Lebkuchenherzen, an Würsten und Zehen. Und dann hat es sich ziemlich schnell ausgeknabbert, und die einzige Gemeinsamkeit ist das abendliche Fernglotzen.
    »Hallooo? Is was?«, fragte der verliebte Bratwurstnager und blinzelte Natalie feindselig an. Ein wenig Senf leuchtete in seinem Mundwinkel. Die kleine, dicke Freundin machte einen Schmollmund, dem Lipgloss und Würstchenfett einen bräunlichen Schimmer verliehen hatten. Hastig ging Natalie weiter. Am liebsten hätte sie laut geschrien. Sie begann zu schwitzen. Wo waren ihre Notfalltropfen?
    Einige der verkleideten Mönche warfen gerade Hände voll getrockneter Kräuter in die

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