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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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Feuer. Rauchschwaden stiegen auf und trieben Natalie Tränen in die Augen. Den Geruch mochte sie auch überhaupt nicht. Was war das? Weihrauch? Es roch infernalisch.
    Als sie endlich wieder klar sehen konnte, war Theodor Silberstadt verschwunden. Umso besser, dachte sie, aber ein Gefühl des Bedauerns überschwemmte sie und erstaunte sie selbst. Wie kann ein Mensch von hinten so traurig aussehen?, fragte sie sich. Das war doch ein Phänomen. Selbstquälerisch trank sie den Becher leer, schüttelte sich kurz, dann machte sie sich auf die Suche. Vielleicht war er ja auch auf seine Massai-Art weitergetrabt oder … Halt! Da hinten am Met-Stand ließ er sich gerade von der rossigen Häubchenfrau einen Becher reichen. Natalie beobachtete, wie er einen Schluck nahm und schmerzvoll das Gesicht verzog. Und dann trafen sich plötzlich ihre Blicke. Natalie hielt die Luft an. Durch die Menschenmenge hindurch sah er sie an. Bestimmt hatte er überhaupt keine Lust auf Smalltalk, deswegen senkte er schnell den Blick, hob ihn aber erstaunlicherweise wieder und nickte grüßend mit dem Kopf. Meine Güte, dachte Natalie, dieser Mann hat einfach Stil. Sie erwiderte den Gruß. Dann wusste sie nicht weiter.
    Was für eine absurde Situation: Auf einem lächerlichen Mittelalterfest reichlich beduselt auf seinen Therapeuten zu treffen. Fehlte nur noch Doktor Schotter, ihr Gynäkologe.
    Natalie beschloss, ihr Experiment an dieser Stelle abzubrechen. Genug Spaß gehabt. Selten so einen spaßigen Abend erlebt. Morgen würde sie vor Kopfschmerzen vergehen. Der Rauch, der Gestank, die vielen bekloppten Leute, all das zerrte jetzt bereits an ihren Nerven. Nicht zu vergessen: das stupide Getrommel und Geflöte aus den Lautsprechern, der ganze esoterische Kram. Ihr wurde übel.
    Und dann stand plötzlich Theodor Silberstadt neben ihr, und sie warf sich ihm heulend an den Hals.
    Wie sie schließlich in der Geisterbahn gelandet waren, konnte Natalie später nicht mehr genau sagen. Theodor auch nicht. Sie hatten vorher noch gemeinsam einige Becher Glühwein getrunken. »Die MTG ist eindeutig überschritten«, hatte Natalie gesagt.
    »Was?«
    »Die Met-Toleranz-Grenze.«
    »Ich wusste gar nicht, dass ich eine gehabt hätte«, erwiderte Theodor, der den Glühwein auch ziemlich widerlich fand.
    Sie saßen auf Hockern an einem Holzfass, wie Gestrandete, hinter sich die Skyline Berlins, vor sich zahlreiche leere und halbvolle Plastikbecher.
    Natalie hatte zunächst noch eine Weile weitergeflennt, sie wusste selbst nicht, wieso. Dann hatte sie vor sich hin geplappert, wie sehr sie Bratwürste, Engelkarten und den gerade einsetzenden Regen hasste und dass sie neulich im Keller Angst davor gehabt hatte, von einem perversen Herr-der-Ringe-Zwerg zerstückelt zu werden. Theodor hatte zugehört. Jedenfalls hatte es so ausgesehen. Aber plötzlich hatte er den Kopf zurückgeworfen und wie ein Wolf aufgeheult.
    »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie anstrengend es für mich geworden ist, mir das Gerede der Leute anzuhören!« Und mit einer weit ausholenden Geste hatte er einige Plastikbecher vom Holzfass gewischt. »Es ist, als hätte ich keinen Filter mehr, der den Irrsinn der anderen aus mir heraushält«, fuhr er unbeeindruckt fort. »Und darüber bin ich wohl selbst so skurril geworden, dass sogar meine Beziehung in die Brüche gegangen ist.«
    »Sie sind nicht skurril«, hatte Natalie widersprochen.
    »Ich bin besitzergreifend, egoistisch, bedrängend und kompliziert.«
    »Aber nein, wer sagt denn das?«
    »Die Person, die mich gerade verlassen hat und mit der ich seit über fünfundzwanzig Jahren zusammen gewesen bin.«
    »Oh.« Natalie hatte wieder weinen müssen, und als Theodor sie fragte, ob sie unter Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen litt, konnte sie vor lauter Schluchzen gar nicht mehr antworten.
    Und dann hatte sie glücklicherweise einen Filmriss.
    Natalies Erinnerung setzte erst in dem Augenblick wieder ein, als sie neben Theodor in einem absurden Wägelchen Platz nahm, das sich gerade in Bewegung setzte und auf eine sich öffnende Tür zufuhr. Dahinter lauerte absolute Finsternis. »Nein!«, kreischte Natalie und versuchte, wieder aus dem Wagen zu klettern.
    »Man muss sich seinen Ängsten stellen.« Ungerührt zog Theodor sie am Arm zurück auf den Sitz, und dann wurden sie auch schon von der Dunkelheit verschluckt. Nur das Ruckeln auf den Gleisen war zu hören. Natalies Herz klopfte wie rasend. Sie bekam keine Luft. Sie hasste es,

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