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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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und als die Stadt erwachte, verdampften in den Straßen gerade die letzten Pfützen. Die Sonne schien kraftvoll, kein Wölkchen war am Himmel zu sehen, und die Luft war so klar und rein wie selten in Berlin.
    »Komisches Wetter«, sagte Hertha.
    Gestern Abend war es so windig gewesen, dass sie die Fenster im Wohnzimmer wieder schließen musste. Dann hatte sie sich wie immer »Die Supernanny« im Fernsehen angeschaut. Wenn sie Vierjährige mit Mobiliar werfen sah und beobachtete, wie Pubertierende nach ihren arbeitslosen, alleinerziehenden Müttern traten, tröstete sie das immer recht schnell über den Verlust von Enkelkindern hinweg. So war das heutzutage.
    Theodor hatte ihr nur Freude gemacht. Er war ein aufgeweckter kleiner Junge gewesen, der fröhlich über Berlins Trümmerhaufen der Fünfzigerjahre gehüpft war, obwohl auch er keinen Vater gehabt hatte.
    Manchmal fragte sich Hertha im Geheimen, warum ihr Sohn so geworden war, wie er eben war. Vielleicht hatte es immer zu viele Frauen um ihn herum gegeben? Sie selbst, ihre jüngere Schwester, ihre Mutter, die vielen Nachbarinnen. Immer waren nur Frauen in die kleine Neuköllner Wohnung gekommen, um zu schwatzen und Kaffee mit Eierlikör zu trinken. Männer hatte es damals nicht mehr viele gegeben.
    Herthas kleine Schwester hatte nicht lange gefackelt und sich einen amerikanischen Verlobten geangelt, mit dem sie tanzen ging und dem sie später nach New York folgte. Hertha selbst hatte weniger Glück gehabt. Während der Blockade verliebte sie sich in einen französischen Soldaten der Armée de l’Air, der halsbrecherische Einsätze in Berlins schmalen Luftkorridoren flog. Serge Bertier machte keine halben Sachen, und er hatte so wundervolle dunkelbraune Augen. Sie verlobten sich, sahen sich oft viele Wochen lang nicht und schrieben sich Briefe. Wenn es ihm irgendwie möglich war, kam Serge seine Hertha besuchen. Errthá , so sprach er ihren Namen aus.
    Dann wurde Hertha schwanger und Serge nach Indochina abkommandiert. Kurz vor Theodors Geburt im Jahr 1952 stürzte er mit seiner »Potez« über dem Dschungel ab. Noch zwei Briefe erhielt Hertha von ihrem Verlobten, der schon längst tot war.
    So war sie am Neuköllner Küchentisch sitzen geblieben. Mit einem unehelichen Sohn, einem Schuhkarton voller Briefe und Fotos, und niemand hatte sie jemals wieder Errthá genannt.
    Als es an der Haustür klingelte, wollte Hertha gerade mit der neuen Freizeit Revue auf den Balkon gehen. Stattdessen fragte sie nun ein misstrauisches »Hallo?« in die Gegensprechanlage.
    »Ich bin’s. David.«
    Sie drückte den Öffner.
    »Hallo, mein Junge«, begrüßte sie ihn wenig später und stellte sich auf die Zehenspitzen, um seine Wange zu tätscheln. »Möchtest du eine Limonade?«
    »Gern.« David spürte, wie bereits ein wenig von all dem Ärger hinter der Tür blieb, die Hertha gerade energisch schloss. Da waren zum einen Geldsorgen, die er sich auf einmal machte, denn Theodor würde ganz bestimmt den Dauerauftrag kündigen. Tausend Euro für das Atelier, sagte sich David, das ist ja eigentlich der blanke Wahnsinn. Außerdem war er ein wenig angestrengt vom Alltag mit Tim, dem Lichtbringer. Seit ein paar Tagen wohnte er bei ihm im Atelier und führte sich auf wie eine launenhafte Katze, die einfach nur tut, wonach ihr ist. Eigentlich fand David das ungemein authentisch und free spirit . Aber manchmal, wie heute Morgen, nervte es ihn doch. Freigeister bringen keine Mülleimer runter.
    Außerdem schlief Tim bis zwei Uhr mittags, ging dann frühstücken und war erst nach dem Genuss einer halben Flasche Weißwein bereit, David Modell zu stehen. »Hot«, murrte er und meinte die Temperatur im Atelier.
    »Nicht sprechen«, murmelte David und erkannte im Stillen, dass es wohl fantastisch war, mit einem 22-Jährigen viel Sex zu haben, dass sich aber das tägliche Leben mit einem, der zwar aussah wie ein gefallener Engel, der aber immer Hunger hatte, wenn er nicht gerade schlief, Ewigkeiten duschte, nicht kochen konnte und auch geistig nicht wirklich … rege war, ermüdend gestaltete.
    Trotzdem war David froh, eine Beziehungspause mit Theodor eingelegt zu haben. So hätte er es formulieren sollen.
    Weiß der Teufel, was mich zu diesem albernen Ausbruch verleitet hat, dachte er. Erst Zinnoberrot durch die Gegend schmeißen und dann recht unsouverän stammeln, dass man sich trennen will. Aber Theodor hatte manchmal so eine Art, ihm die Luft zum Atmen zu nehmen. Da waren David die Nerven

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