Ein Hummer macht noch keinen Sommer
wichtig«, erklang wieder Theodors Stimme.
»David hat Stress«, erwiderte Hertha. Das Rascheln hatte aufgehört.
»Was meinst du, wie viel Stress ich habe, Maman? Und stell dir vor: Ich wollte mich wieder mit ihm vertragen, und er hat sich einfach nicht darauf eingelassen!«
»Habt ihr geredet?«
»Ich habe es versucht. Ich habe ihm eine SMS geschickt. Ich habe den Anfang gemacht.«
»Eine SMS ?«
»Ja. Eine SMS .«
»Das ist doch kein Gespräch.«
»Genau«, flüsterte David gegen die Tür.
»Es ist immerhin ein Anfang«, rief Theodor. »Aber Monsieur wollte nicht. David ist rechthaberisch, zimperlich und kleinlich!«
»Du bist nicht viel besser!«, schimpfte Hertha. Ihre Stimme klang auf einmal ganz nah, sie musste in der Nähe der Wohnungstür stehen, womöglich mit dem Glas Fanta in der einen und dem Schälchen Erdnussflips in der anderen Hand. Nur wenige hölzerne Zentimeter von David entfernt. Sehnsüchtig schmiegte er seine Wange gegen die Tür. Hertha, liebes Herthalein, dachte er.
»Du magst die Farben nicht?«, fragte sie nun, und ihre Stimme wurde leiser. Sie war wohl auch ins Wohnzimmer gegangen.
»Zu grell, überhaupt nicht subtil«, antwortete Theodor.
»Null Kunstverständnis«, zischte David.
»Na ja«, sagte Hertha. »Die Farben mag ich gern, aber ich finde, der Hummer sieht aus wie aus Plastik.«
Ob sie gerade beide vor seinem Gemälde standen?, fragte sich David und presste sein Ohr gegen die Tür. Plastik? Wie bitte?
»Und der Kerzenhalter auch«, fuhr Hertha fort.
»Nein, nein. Der Leuchter ist aus Silber. David hat ihn auf einem Trödelmarkt fotografiert«, erklärte Theodor, und schmerzliche Erinnerungen an einen gemeinsamen Spaziergang über den Flohmarkt vom Ostbahnhof kamen auf. Letztes Jahr im Frühling war das gewesen. An einem sonnigen Sonntagvormittag. Sie hatten Schellackplatten und silberne Kuchengabeln gekauft und hinterher eine halbe Herrentorte in einer Konditorei. Dann waren sie nach Hause gefahren und hatten den Rest des Tages mit Kuchenessen und Grammophonmusik zugebracht. Am Abend waren sie durch den Park geschlendert, hatten Leben ohne Liebe kannst du nicht gesungen, wenn man auch den Himmel dir verspricht. Alles kannst du haben und hast doch keine Ruh, denn ein bisschen Liebe gehört nun mal dazu.
Von der vielen Torte war ihnen übel geworden, aber das konnte die Erinnerung an den schönen Tag nicht trüben. »Nie wieder Kuchen«, hatte David gestöhnt, und dann waren sie ins Restaurant gegangen und hatten Rostbratwürstchen und Sauerkraut bestellt. Und Bier …
»Und der Hummer?«, unterbrach Hertha Theodors Gedanken.
»Der Hummer ist Howard«, erklärte Theodor. »Der paddelt jetzt fröhlich im Aquarium durch die Gegend.«
»Ach ja?«
Theodor schwieg kurz, denn gerade hatte ihn die Gegenwart wieder eingeholt. Sie hinterließ einen bitteren Geschmack auf seiner Zunge.
»Ja!«, rief er. »Das ist auch so typisch David. Er macht ein Riesengewese um alles. Und letztlich ist es doch immer nur ein Sturm im Wasserglas. Ein Zwergenaufstand.«
»Wenn du das nun so gut erkannt hast«, sagte Hertha, »warum lässt du ihn nicht in Ruhe damit?«
»Weil es mich nervt!«
»Und ihn nervt, dass du immer an allem herumdoktern musst.«
»Also, bitte, Maman, das kannst du doch nicht vergleichen.«
»Warum?«
»Warum?«, flüsterte auch David.
»Weil es um etwas ganz anderes geht«, rief Theodor erregt. »Ich will mit David zusammenziehen, und er will nicht.«
»Also, wenn du da die Zusammenhänge nicht erkennst!«, schimpfte Hertha. »Das ist doch ein und dieselbe Suppe.«
David schloss die Augen und drückte sein Ohr so heftig gegen die Tür, dass sie in den Angeln knirschte.
»Ganz und gar nicht«, widersprach Theodor. »Ich bin gesprächsbereit. Er nicht. Ich biete ihm ein Heim. Er will nicht. Ich bin immer für ihn da. Er braucht Luft. Ich bin Psyhotherapeut, ich könnte ihm helfen. Er will schon wieder nicht.«
Es klang so, als ob jemand tief Luft holte. Dann ertönte Herthas Stimme: »Ich gebe dir jetzt mal einen Rat, mein Sohn: Je mehr man in der Scheiße rührt, umso mehr stinkt’s.«
»Aber Maman, was ist denn das für eine Ausdrucksweise?«
»Stimmt doch.«
»Lass uns jetzt endlich auf den Balkon gehen.«
»Ja, aber es ist schon recht heiß, heute sollen es einunddreißig Grad werden, das hat alles mit der Klimaerwärmung zu tun, wenn man be…«
Und dann konnte David nichts mehr verstehen. Keuchend richtete er sich auf. Sein Kreuz tat ihm weh,
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