Ein Hummer macht noch keinen Sommer
habe sie mir neu gekauft«, flüsterte Natalie und trank den Sherry aus.
»Ach.« Theodors Stimme klang enttäuscht. »Und nun? Was gedenken Sie zu tun?«
Ich gedachte eigentlich einen netten Abend zu verbringen, lag es Natalie auf der Zunge, aber sie wollte nicht unhöflich sein. Deswegen zuckte sie bloß mit den Schultern und versuchte das Thema zu wechseln. »Gestern war Vollmond«, sagte sie. »Haben Sie ihn gesehen? Er war viel größer als sonst und ganz rosa.«
Theodor nickte. »Ja, sehr hübsch. Können Sie denn den Mond betrachten, ohne an Ihren Vater zu denken?«
Natalie starrte ihn an. »Manchmal machen Sie mir Angst«, sagte sie leise. »Ich habe den Eindruck, Sie schauen in meinen Kopf hinein.«
Theodor lehnte sich zurück, und ein selbstzufriedener Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Haben Sie mal mit Ihrem Vater über diese Mondlandungsszene und sein damaliges Verhalten gesprochen?«
»Mein Vater ist schon lange auf und davon.«
Theodors Gesichtsausdruck veränderte sich auf der Stelle. Er runzelte die Stirn, denn ihm war gerade klar geworden, dass er Natalies Vater schon viel früher zur Sprache hätte bringen müssen. »Wo ist er hin?«
»Keine Ahnung. Kurz nachdem er die Gardinen aus den Schienen gerissen hatte, verließ er meine Mutter und mich und kam nie wieder.«
»Warum weiß ich davon nichts?«, rief Theodor alarmiert.
»Sie haben nie danach gefragt.«
»Und Ihre Mutter?«
»Tot.«
Wie vom Donner gerührt saß Theodor da und starrte in sein leeres Sherryglas.
»Macht ja nichts, Herr Silberstadt«, versuchte Natalie zu trösten, »wir sind doch heute bloß zusammengekommen, um gemeinsam zu essen und ein wenig zu plaudern.«
»Mir unterlaufen zu viele Fehler in letzter Zeit«, murmelte er und stand auf. »Ich dekantiere mal eben den Wein, bin gleich wieder da.« Er eilte hinaus.
»Puh.« Natalie schloss kurz die Augen.
»Dieser Zwerg«, rief Theodor aus der Küche, und das ploppende Geräusch eines aus der Flasche gezogenen Korkens war zu hören. »Haben Sie ihn noch mal irgendwo gesehen?«
»Heute nicht.«
»Auch nicht gehört?«
Hehehe.
»Um Gottes willen, hören Sie bloß auf, mich daran zu erinnern!«
Natalie war aufgestanden und dem Gläserklirren und Tellerklappern gefolgt. Jetzt lehnte sie in der Küchentür und beobachtete, wie Theodor sich über ein Tablett beugte. »Mini-Blinis mit Lachsschaum«, erklärte er. »Als Amuse-Gueule. Wir wollen uns ja nicht den Appetit verderben, es ist wirklich nicht mehr als eine Zwergenportion, oh … ich …« Betroffen schaute er auf. »Das war jetzt nicht mit Absicht.«
Natalie lächelte ein wenig schmal. »Schon gut. Hübsche Küche haben Sie. Ich liebe diesen wuchtigen Retro-Kühlschrank.«
»Es war reiner Zufall, dass ich das so formuliert habe.« Theodor hatte sich wieder seinen Blinis zugewandt, auf die er jetzt frische Dillspitzen legte. »Sie reagieren nur immer heftig auf alles, was mit Zwergen zu tun hat.«
»Ich bin ganz ruhig.«
»Wir sollten mal darüber nachdenken, ob es eine Verbindung zwischen Ihrem flüchtigen Vater und Ihrer dominanten Teilpersönlichkeit Zwerg gibt, denn …«
»Herr Silberstadt, bitte.«
»Dort, wo es unangenehm wird, ruht das Potenzial, und …«
»Herr Silberstadt!«, schrie Natalie auf. »Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie Feierabend haben!«
»Wie meinen Sie das? Und warum schreien Sie so?«
»Sie rotieren wie ein Zahnarztbohrer in meiner ohnehin porösen Seele.«
»Ach so?«
»Wollen wir uns nicht einfach nett unterhalten? Wie neulich im Lentz ?«
Theodor goss Wein in zwei Gläser. »Sie geben Ihren Abwehrmechanismen nach. Merken Sie das?«
»Und Sie geben auch irgendwelchen Mechanismen nach«, rief Natalie aufgebracht. »Ich kenne bloß den Fachbegriff nicht, aber Sie sind so etwas wie ein Trüffelschwein, das einfach niemals Ruhe geben kann.«
Erschrocken sah sie ihn an.
»Ich bin ein Schwein, sagen Sie?« Er erwiderte ihren Blick.
»Nein, nein, so habe ich es nicht gemeint, ich wollte nur sagen, dass Sie das Gegrabe und Geschnüffel niemals abstellen.«
Wie um ihre Aussage zu bekräftigen, schnupperte Theodor am Wein. Dann reichte er ihr ein Glas, hob das eigene und begann plötzlich gackernd zu lachen. »Vom Zahnarztbohrer zum Trüffelschwein, das nenne ich eine Karriere. Darauf trinken wir.«
Erleichtert fiel Natalie in sein Lachen ein, das sie bezaubernd fand. Noch niemals hatte sie jemanden so lachen hören: polternd, schnaubend, ein bisschen rau und sehr
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