Ein Hummer macht noch keinen Sommer
Sie hatte einfach keine Übung in diesen Dingen. Verlegen winkte sie Theodor zu, dann sank der Fahrstuhl mit ihr in die Tiefe.
Das Taxi stand vor der Haustür.
»In die Schloßstraße 34, bitte«, sagte Natalie.
»Steglitz?«
»Charlottenburg.«
Der Fahrer drehte sich zu ihr um. »Ditt lohnt sich ja janich.«
»Ist nicht weit, ich weiß.«
»Ditt können Se doch wohl loofen. Dafür brauchen Se mich nich anzurufen.«
»Soll ich mich entschuldigen?«
»Hilft mir ooch nich.«
»Hören Sie«, sagte Natalie. »Ich habe gerade einen richtig schönen Abend verbracht und überhaupt keine Lust, mich mit Ihnen herumzustreiten.«
»Jetz komm Se mir noch dämlich, oder watt?«
Das ist so typisch für dich, Natalie-Schnattalie. Alles läuft glatt, und ganz am Ende vermasselst du es, küsst völlig unerotische Körperteile und diskutierst mit Taxifahrern.
»Halt den Mund, Zwerg«, rief sie ungehalten.
»Na, hören Se mal, ditt reicht jetzt aba. Raus mit Ihnen, sonst ruf ick die Bullen!«
Der Taxifahrer öffnete seine Tür und stieg aus, und Natalie verstand auf der Stelle, warum er sich angesprochen gefühlt hatte. Der Mann war winzig, nicht größer als Edith Piaf, er war in der Tat ein … Zwerg.
Bevor er auf seinen kurzen Beinen um das Taxi herumgelaufen war, hatte Natalie ihre Tür aufgerissen und die Flucht ergriffen. Sie rannte mitten in den spärlich beleuchteten Lietzenseepark hinein und verlangsamte ihren Schritt erst, als sie merkte, dass der Taxizwerg ihr nicht gefolgt war.
Als Frau mitten in der Nacht allein (und vielleicht doch nicht mehr ganz nüchtern) in einem Stadtpark herumzurennen schien keine gute Idee zu sein. Aber immer noch besser, als mit einem Zwerg Auto zu fahren. Kichernd setzte sich Natalie auf eine Bank. Von hier aus konnte sie Theodor Silberstadts beleuchtetes Wohnzimmer sehen. Ob er gerade den Tisch abdeckte, die Kerzen ausblies? Ob er an sie dachte? Ob er den Kuss auf seinem … Kinn noch spürte?
Theodor spürte vor allem ein lästiges Kratzen im Hals, das im Laufe des Abends immer schmerzhafter geworden war. Beim Auspusten der Kerzen bekam er einen Hustenanfall, und dann begann seine Nase zu laufen. »Mist«, murmelte er, und anstatt aufzuräumen, ließ er alles stehen, machte das Licht aus und ging zu Bett, wo er an gar nichts mehr dachte und sofort einschlief.
Da! Natalie sah auf. Jetzt war das Licht ausgegangen. Auf unformulierbare Weise bedauerte sie dies. Dass das Licht in Theodors Wohnzimmer gerade in dem Moment ausgegangen war, als sie so intensiv an ihn gedacht hatte, trübte ihre Stimmung. Ob es ein Zeichen war? Natalie fühlte sich auf einmal so allein. Ein Gefühl der Leere schien aus dem dunklen See aufzusteigen und in sie einzusickern.
Und wo war überhaupt der schöne Mond von gestern geblieben? Der Himmel war ja voller Wolken. Ein weiteres ungutes Zeichen. Vielleicht würde es regnen, und das wäre dann das Ende des Sommers. Als hätte er sich verausgabt und alles in eine einzige große Hitze investiert und wäre nun schon wieder dabei, sich zurückzuziehen, würde bis in den August hinein jeden Tag grau und windig werden lassen. Das wäre dann mal wieder ein richtig deutscher Sommer, und ganz besonders tückisch kamen Natalie die Berliner Sommer vor. Berlin, das lag ja schon fast in Sibirien. Ernüchtert stand sie auf, sah noch einmal nach oben, aber da war alles dunkel, und eiligen Schrittes, sich immer wieder ängstlich umsehend, eilte sie nach Hause.
▶◀
Der nächste Morgen war sonnig und wolkenlos.
»Sonniger Tag, wonniger Tag«, sang Hertha, die schon lange wach war. Wenn die Sonne schien, konnte sie einfach nicht im Bett bleiben. Sie hatte Theodors Hemden gebügelt und die Fenster geputzt. Inzwischen war es zehn Uhr, und es wurde allmählich heiß. »Puh«, machte Hertha und spannte den Sonnenschirm auf dem Balkon auf. Gleich würde David kommen, um ihr etwas Umwerfendes zu berichten. Am Telefon hatte er nichts weiter erzählen wollen.
Sie war gespannt. Ob Theodor und David sich wieder vertragen hatten? Das hätte ihr Theodor doch sofort erzählt. Er hatte aber heute noch gar nicht angerufen. Irgendetwas stimmte da nicht. Theodor rief jeden Morgen um Punkt acht Uhr an, um ihr einen schönen Tag zu wünschen. Und ein zweites Mal meldete er sich meistens gegen zehn Uhr.
Hertha trank eisgekühlten Hagebuttentee und bemerkte, wie nervös sie war. Etwas war im Busch. Als es endlich klingelte, sprang sie auf und rannte, so schnell sie konnte, zur Tür.
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