Ein Hummer macht noch keinen Sommer
sexy.
»Verzeihen Sie!«, rief sie. »Ich wollte Sie nicht beleidigen, Sie sind ein großartiger Therapeut, aber Sie scheinen niemals eine Pause zu machen. Sie analysieren sich durch alles und jeden.«
Theodor war wieder ernst geworden. Wie oft hatte David ihm das schon gesagt?
»Und ich bin sicher …« Natalie hatte sich in Fahrt geredet, »dass Sie Ihre Nachbarschaft, den Freundeskreis, selbst die Damen am Bankschalter und die von der Wursttheke bereits nach ihren Träumen und Ängsten befragt haben, nach ihren Müttern und Vätern, nach …«
Na, Dummerchen? Plapperst dich mal wieder um Kopf und Kragen?
Betroffen verstummte Natalie. Jetzt hatte sie es wirklich übertrieben.
»Touché«, sagte Theodor. »Sie haben nur den Friseur vergessen.« Und dann lachte er wieder auf so umwerfende Weise, dass Natalies Knie ganz weich wurden.
Sie gingen zu Tisch.
»Was halten Sie von den Blinis mit Lachsschaum?«, fragte Theodor. »Ihre Meinung interessiert mich.«
»Köstlich.«
»Wirklich?«
»Absolut.«
»Nicht, dass ich demnächst in einer Kolumne von Ihnen lesen muss: Und dann wurden mir pappige Mini-Eierkuchen vorgesetzt, die sich mit fischigem Schleim vollgesogen hatten, und zu allem Überfluss hockte auf jedem ein Büschel Dill, und ich kann Ihnen versichern, dass ich Dill auf den Tod nicht ausstehen kann. «
»Aber nein«, rief Natalie und lachte glockenhell. Sie konnte Dill tatsächlich nicht leiden, aber das behielt sie jetzt besser für sich.
»Ich halte nicht jede Lüge für verwerflich«, sagte Theodor und stellte eine dampfende Auflaufform mit geschmortem Fenchel und Pangasiusfilets auf den Tisch. Schon wieder schien er in ihren Kopf geschaut zu haben.
»Das sieht ja köstlich aus«, lobte sie.
»Ein Glück, dass Sie Dill mögen, denn Fenchel und Dill liegen ja eng beieinander. Genau wie Anis und Lakritz.«
Mag ich auch alles nicht, dachte Natalie und nickte Theodor lächelnd zu.
»Manchmal lügt man, um den anderen zu schonen«, fuhr Theodor fort und häufte Natalie besonders viel Fenchel auf den Teller.
»Danke, danke, das reicht.«
»Haben Sie schon einmal in Ihrem Leben gelogen?«, fragte er.
»Sie fangen schon wieder an«, antwortete Natalie.
»Womit?«
Natalie machte ein grunzendes Geräusch.
»Ah ja! Sie haben Recht. Entschuldigen Sie. Es scheint stärker zu sein als ich. Trinken Sie einen leichten Roten zum Fisch, oder bleiben Sie ganz klassisch bei Weißwein?«
»Wenn Sie daraus keine Rückschlüsse auf meine charakterlichen Schwächen ziehen, würde ich gern Weißwein trinken.«
»Sehr gern.« Er erhob sich, kam um den Tisch herum und schenkte Natalie nach. Ein Hauch von Pour Monsieur streifte sie.
»Wissen Sie …«, sagte sie. Denk nach, bevor du sprichst , meckerte das Stimmchen. »Sie stecken in einem Teufelskreis.«
Theodor setzte sich wieder auf seinen Stuhl. »Wenn Sie mir das freundlicherweise erklären würden?«
Sie begannen zu essen.
»Durch Ihre Angewohnheit, allen Leuten, die sie treffen, in die Köpfe zu schauen«, erklärte Natalie, »und immerzu Gesten und Verhaltensweisen zu analysieren, haben Sie sich erschöpft und keine Kraft mehr, sich auf Ihren Beruf zu konzentrieren. Sie haben verlernt, eine Grenze zu ziehen, verstehen Sie?«
Theodor blickte sie kauend an. Weil er nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Sie haben es doch eigentlich selbst so formuliert. Die Sache mit dem Filter und dem Irrsinn der anderen, wissen Sie nicht mehr?«
Endlich hatte er runtergeschluckt. »Ich erzählte Ihnen ja schon, dass meine Mutter meint, ich sollte mich zur Ruhe setzen.«
»Machen Sie immer, was Ihre Mutter Ihnen sagt?«
»Eigentlich schon.«
»Was würden Sie einem Klienten raten, der Ihnen das erzählt?«
Theodor grinste. »Dass er eine übertrieben starke Mutterbindung hat.«
» Möchten Sie sich denn zur Ruhe setzen?«, fragte Natalie und steckte sich ein winziges Stück Fenchel in den Mund.
»Darüber habe ich noch gar nicht richtig nachgedacht.«
Sie verzog das Gesicht. »Also, Herr Silberstadt.«
»Wollen wir zum Nachtisch übergehen? Ich merke doch, dass Ihnen der Fenchel nicht schmeckt.«
»Warum sind Sie sich da so sicher?«
»Ich sehe es Ihnen an.«
»Sie glauben, es mir anzusehen.«
Er lächelte über den Tisch hinweg. Ein klein wenig überheblich, fand Natalie. »Sie müssen es Ihrem Gast schon selbst überlassen zu entscheiden, was ihm zusagt und was nicht«, sagte sie. Es klang zickiger, als es gemeint war.
»Oh, ich bitte Sie. Lassen Sie es
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