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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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majestätischen Hummer! Wundervoll, wundervoll, wundervoll .« Bei jedem »wundervoll« schlug Rudolf mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Ich interpretiere sie als … Rosie, lass das, nicht blubbern …«
    »Als …?«, fragte David.
    »Als Symbol für den Luxus, zu leben, zu lieben!«, antwortete Rudolf Euter eifrig. »Und jeder Gegenstand, den Sie Ihren Hummern zur Seite stellen, hat eine ganz besondere Bedeutung. Ist es nicht so? Der Boxhandschuh zum Beispiel. Steht er für maskuline Aggressivität? Die zerbrochene Madonna habe ich als Sehnsucht nach mütterlichem Trost gedeutet, die Kaffeekannen als ein Sehnen nach Häuslichkeit. Bitte widersprechen Sie mir, wenn ich mich irre.«
    »Nein, nein«, antwortete David selig.
    »Lassen Sie uns Champagner auf unsere Bekanntschaft trinken!«, rief Rudolf Euter. »Und dann müssen Sie mir erklären, was der tiefgekühlte Hummer auf dem Anker zu bedeuten hat. Versinnbildlicht er die Notwendigkeit, in emotionalen Situationen gefestigt zu bleiben? Oder lichten Sie bereits die Anker?«
    »Nun«, sagte David und schlug die Beine übereinander. »Das kann man so oder so sehen.« Am liebsten hätte er geschnurrt.
    Der Champagner kam, die Gläser wurden feierlich erhoben.
    »Rudolf.«
    »David.«
    »Wohlsein.«
    »Wohlsein.«
    »Hey, und ich?«, erklang es von unten.
    »Entschuldige, Rosie.« Rudolf stieß mit dem Champagnerglas gegen ihre Limonadenflasche. »Auf dein Wohl natürlich auch.«
    Rosie sah David mit vorgeschobener Unterlippe an. Doch der trank bereits genießerisch einen großen Schluck Champagner. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er sich so verstanden gefühlt.
    »Arbeitest du noch an der Hummer-Serie, David?«
    »Die Hummer sind abgeschlossen. Es gibt da eine neue Inspiration, und mich würde interessieren, lieber Rudolf, was du als Kunstkenner davon hältst.«
    »Muss Pipi«, sagte Rosie.
    »Nicht jetzt!«, antwortete Rudolf, und an David gewandt: »Ich fühle mich geehrt.«
    David berichtete von seiner Idee, verwelkte Blumensträuße in grünlich angelaufenen Wassergläsern zu malen. »Um das Welken der westlichen Zivilisation zu versinnbildlichen.«
    »Originell«, lobte Rudolf.
    »Pipi«, beharrte Rosie.
    »Ihre verdorrte Moral«, fuhr David fort, »ihr Verblühen.«
    Rudolf nickte konzentriert.
    »Aber bestimmte Lebensumstände … haben es mir in letzter Zeit nicht leicht gemacht«, berichtete David und seufzte. »Und so kam ich den Farben der Flüchtigkeit nicht auf die Spur …«
    »Den Farben der Flüchtigkeit«, wiederholte Rudolf träumerisch.
    David bemerkte verwundert, dass das grimmige Gesicht des Kindes rot angelaufen war. Doch er kannte sich nicht aus mit kleinen Mädchen, trank seinen Champagner und fuhr fort: »Eines Tages fiel mit leisem Plopp der Kopf einer Margerite herunter, mitten in mein stehen gelassenes Mittagessen.«
    »Ach.«
    »Elf Spiralnudeln und eine Margeritenblüte ragten nun aus einer Ketchuppfütze. Zuerst deprimierte mich der Anblick zutiefst.«
    »Pipi!«, schrie Rosie ungehalten.
    »Gleich, Liebes«, erwiderte Rudolf. »Wenn Onkel David seine schöne Geschichte zu Ende erzählt hat.«
    »Doch dann …« David senkte die Stimme. »Dann hatte ich eine Eingebung. Genau das werde ich malen. Verstehst du? Angeknabberte Hühnerkeulen, bedeckt von Kamelien. Pommes frites mit Mayonnaise und Maiglöckchen, Wiener Schnitzel an Seerosen, Ranunkeln auf Ravioli.«
    Rudolf klatschte in die Hände. »Genial!«
    »Findest du?« David strahlte. Und weil das Leben gerade so heiter war, bestellten die beiden noch eine Flasche Champagner. Dann wurde Rosie von ihrem Vater im Laufschritt zur Toilette gebracht. David ließ seinen Blick derweil über die sonnenbeschienenen Häuserfassaden gleiten. Er war erschöpft vom vielen Reden. Der Champagner und die Komplimente stiegen ihm zu Kopf, so dass ihm schwindelig wurde. Ach, er war so glücklich. »Fast-Food-Flowers«, murmelte er und horchte auf. Der Name war auf einmal da, als hätte er wie ein Dschinn am Boden der gerade entkorkten zweiten Champagnerflasche gehockt, der nur auf seine Befreiung gewartet hatte.
    »Jetzt muss ich dir etwas erzählen«, sagte Rudolf, noch bevor er sich wieder hingesetzt hatte.
    »Will nach Hause«, murrte Rosie.
    »Wieso ist das Kind nicht in der Schule?«, fragte David.
    »Hitzefrei.«
    David nickte und lächelte das kleine Mädchen an, das auf seinem Strohhalm herumkaute. »Wie alt bist du denn, Rosie?«
    »Sieben«, antwortete sie mit gequälter

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