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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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Tesafilmrolle in ihrer Handtasche und griff nach dem geblümten Schirm. Theodor hatte nicht viel Ähnlichkeit mit seiner Mutter, fand Natalie. Die Nase von Frau Silberstadt war klein und knollig, ihre Augen waren blau. Doch ihr Blick war genauso fest wie der seine.
    »Das wird der Arzt klären«, gab sie reserviert Antwort. »Auf Wiedersehen.«
    »Aber was mache ich denn jetzt?« Natalie sprang auf. »Ich muss etwas sehr Wichtiges mit ihm besprechen! Es geht um eine lebenswichtige Entscheidung. Wissen Sie, ob er das Notfalltelefon eingeschaltet hat?«
    »Junge Frau«, erwiderte Hertha. »Sie werden Ihre Entscheidungen bis auf Weiteres hübsch alleine treffen. Mein Sohn ist nämlich krank. «
    »Thedodo ist nämlich krank «, echote Rosie und versuchte Herthas Altfrauentimbre zu imitieren, was ihr erstaunlich gut gelang.
    »Aber gestern Nacht ging es ihm doch noch hervorragend.«
    »Ach, woher wissen Sie denn das?«, fragte Hertha.
    »Ich habe ihn in seiner Wohnung besucht, und er hat für mich gekocht, und wir haben gegessen und gelacht und gesungen und so viel Spaß gehabt.«
    »Was sind denn das für Geschichten?«, murmelte Hertha und kratzte sich irritiert am Kinn.
    »Sie haben einen außerordentlich netten Sohn, Frau Silberstadt«, sagte Natalie feierlich, »er ist charmant, klug und freundlich. Ich habe selten, nein, ich habe noch nie einen Mann kennengelernt, der so … so …« Sie brach ab.
    »So was?«, wollte Rosie wissen.
    »So wundervoll ist«, sprudelte es aus Natalie heraus. »Und gut aussehend und …«
    »Sagen Sie mal, Fräulein«, unterbrach Hertha, »haben Sie Drogen genommen, oder sind Sie immer so?«
    Natalie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war nur froh, dass sie sich eben mit ihrer Taxifahrer-Märchenwelt-Theorie zurückgehalten hatte. Sie musste wirklich lernen, nicht jeden erstbesten Gedanken, der ihr in den Sinn kam, auszusprechen. Das schien ihre Mitmenschen zu irritieren.
    »Sie sind doch nicht etwa in meinen Sohn verliebt?«, fragte Hertha und beobachtete fasziniert, wie Natalie bis in den Haaransatz hinein dunkelrot anlief und »Iiiich? Was für eine Idee!« schrillte.
    »Das würde nämlich nicht viel bringen«, fuhr Hertha fort, und dann fiel ihr Blick auf Natalies Füße. »Du liebes bisschen! Da haben Sie aber einen ordentlichen Hallux valgus! Das sollten sie sich bald mal operieren lassen. Sonst latschen Sie in ein paar Jahren nur noch in Gesundheitsschlappen rum.«
    Das kleine Mädchen nickte bestätigend.
    »Komm, Rosie, wir gehen jetzt in den Zoo.« Hertha stach zum Abschied mit dem Blümchenschirm in die Luft. »Alles Gute für Sie!« Dann griff sie nach Rosies Hand, und wenig später waren die beiden verschwunden.
    »Tschüss!«, rief Natalie in die Tiefe, erhielt aber keine Antwort mehr.
    Wie betäubt setzte sie sich wieder auf die Stufe.
    Das war also die Mutter gewesen. Was für ein Auftritt! Eine famose Person hatte Theodor sie genannt und betont, dass sie eigentlich immer Recht habe. Natalie betrachtete ihre Füße und stöhnte.
    Diese Frau Silberstadt war ein Phänomen. Resolut, bestimmt und gnadenlos ehrlich. Auf gewisse Weise war sie ihr sympathisch. Sie strahlte etwas Beruhigendes aus. Wenn man in ihrer Nähe war, konnte einem einfach nichts Schlimmes passieren. Aber wehe, man hatte seine Schulaufgaben nicht gemacht. Dann würde es keinen Nachtisch geben. Natalie lächelte versonnen vor sich hin. Und das kleine Mädchen war niedlich gewesen …
    Willst du hier Wurzeln schlagen, oder was? , grantelte die innere Stimme.
    Natalie stand auf. Ihr Termin war also ausgefallen, und ihre Entscheidungen würde sie, laut Frau Silberstadt, bis auf Weiteres hübsch alleine treffen müssen. In Gedanken versunken, machte sich Natalie auf den Weg nach unten. Dort quetschte sie ihre Füße wieder in die Ballerinas und öffnete mit schmerzverzerrtem Gesicht die Haustür. Heiße Luft schlug ihr entgegen.
    Die erste Entscheidung, die Natalie gerade (ganz allein) getroffen hatte, war folgende: den nächstbesten Asia-Import-Laden ansteuern und sich dort Flip-Flops kaufen. Ihre Fersen waren inzwischen bestimmt rohes Fleisch. Ganz langsam ging Natalie los und versuchte, mit zusammengebissenen Zähnen über den Begriff Schmerz zu meditieren. Leider fiel ihr nichts Erhabenes ein. Sie humpelte weiter durch die Mittagshitze und begann, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob sie weiterhin in der Büchershow bescheuerte Bücher vorstellen wollte. War das nicht eigentlich durch und durch

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