Ein Hummer macht noch keinen Sommer
müssen endlich reden! Das ist doch alles hirnverbrannte Kinderkacke!«, schrillte David, und es klang überhaupt nicht bescheiden und schlicht.
»Hast du dich verwählt?«, giftete Theodor.
»Ja, genau, ich wollte eigentlich Prinz Kaspian von Narnia anrufen.«
»Und was verschafft mir die Ehre?«
David schwieg.
»Was soll das, David? Du rufst hier an, quakst vorwurfsvoll ins Telefon, wirst unsachlich, und dann schweigst du dich aus. Wenn ich dich erinnern darf: Du hast mich verlassen.«
»Ich wusste, dass du mir das bis an mein Lebensende aufs Brot schmieren wirst.«
»Ich schmiere dir gar nichts aufs Brot.«
»Sondern?«
»Ich kann nicht begreifen, wie man nach so vielen Jahren alles hinschmeißen kann, David. Für eine kleine Laune, für eine Kapriole.«
»Darum rufe ich ja an.«
»Um mir was zu sagen?«
»Mach es mir doch nicht so verdammt schwer!«
»Im Gegenteil, David. Ich frage nur ganz genau nach. Was willst du mir also sagen?«
»Dass es mir leidtut.«
»Was tut dir leid?«
»Na, was wohl?«
»Wenn du es mir freundlicherweise sagen würdest, David? Ich bin nämlich krank, ich zittere vor Fieber und Erschöpfung, und du stammelst herum. Weiß der Kuckuck, was in deinem Leben gerade schiefläuft. Als ich dir neulich eine SMS geschrieben habe, da hast du dich noch ganz anders angehört, da brauchtest du noch Zeit , David, Zeit . Aber jetzt auf einmal darf es wieder in deinem Tempo vorangehen, ja? Es ist doch un-glaub-lich, wie du immer wieder …«
Es machte klick.
»David! David?«
Die Leitung war tot.
»Scheiße«, fluchte Theodor. »Verdammte Scheiße!«
David hatte aufgelegt und war türenknallend aus dem Atelier gerannt. Er würde sich jetzt in aller Ruhe irgendwo betrinken. Warum konnte es im Leben nicht einfach mal glattgehen? Irgendwo hakte es immer, irgendwo war immer der Wurm drin. Zwischenmenschlich, karrieremäßig, gesundheitlich, sexuell, finanziell. Warum war das so? Das würde er jetzt gleich mal den netten Barkeeper in der Bombay Bar fragen und hoffen, dass er ihm nicht mit irgendwelchen buddhistischen oder hinduistischen Weisheiten käme, denn dafür hatte David gerade überhaupt keinen Nerv.
Das Türenknallen ließ Tim aufhorchen. Auf dem Klodeckel sitzend, hatte er gerade seinen »Blue-Hour-Joint« zu Ende geraucht. »Dave?«, rief er und erhielt keine Antwort. Er kicherte. Es war ein lustiges Geräusch gewesen, dieses kleine Knallen, und da kam ja jetzt ein weiteres hinzu! Klingeling, so hörte es sich an. Tim wollte sich ausschütten vor Lachen. Dann begann er eine Melodie zu summen, die ihm in den Kopf gekommen war. » I’m a bitch, I’m a lover … « Kannte er aus der Karaokebar. Von Meredith Brooks.
Es klingelte wieder. Oder immer noch? Tim stand auf und tänzelte ins Atelier. Durch die Fenster schimmerte das abendliche Berlin. I’m a child, I’m a brother …
Klingeling.
»Hello?«, rief Tim ins Telefon, ein wenig unwirsch, unterbrochen worden zu sein.
»Es tut mir so leid, David. Ich mache immer wieder dieselben Fehler, irgendetwas unterbewusst Dominantes beherrscht mich, aber ich verspreche dir, dass ich daran arbeiten werde, du musst nur ein wenig Geduld mit mir haben, David, mein lieber, lieber David. Mir tun alle Knochen weh vor Sehnsucht nach dir, ich bin sogar krank geworden deswegen, reines Nervenfieber, du hättest dich totgelacht, wenn du mich heute Nachmittag gesehen hättest, wie ich mit einem pupsenden Mops im Bett gelegen habe! Ach, David, lass uns Frieden machen, ja? Ich gelobe, ich werde außerhalb der Sprechzeiten nichts und niemanden mehr analysieren, ich werde nicht …«
»Who the fuck are you?«, unterbrach Tim den unverständlichen Redefluss, der voller Zischlaute war und sich anhörte, als würde sich jemand unentwegt räuspern.
»David?«, rief Theodor schockiert.
»Is not here.«
Nun räusperte sich Theodor tatsächlich. »And who are you ?«, fragte er.
»I’m his lover«, antwortete Tim kichernd. Dann gab es in seinem Kopf einen mittelschweren Vulkanausbruch. » I’m a bitch, I’m a lover, I’m a child, I’m a mother, I’m a sinner, I’m a saint, I do not feel ashamed, I’m your hell, I’m your dream, I’m nothing in between … «, sang er völlig überwältigt ins Telefon. Dass er sich auf einmal an den ganzen Text erinnern konnte! Awesome! Da sollte ihm noch mal jemand sagen, Hasch wäre schlecht fürs Gehirn.
Zufrieden legte Tim auf. »I’m an angel undercover.«
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Natalie hatte zwei Glückskekse
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