Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
Vom Netzwerk:
auch voller Sehnsucht. Der eine nach seiner kleinen Tochter, der andere nach seinem Exlebenspartner.
    »Rudolf«, sagte David und schaltete den Motor aus. Seit einer Viertelstunde hatte sich auf der A24 nichts mehr bewegt. »Rudolf, ich möchte dich gern um einen Rat bitten.«
    Rudolf schreckte auf. »Hm?«, machte er schläfrig.
    »Wenn man jemanden verlassen hat und merkt, dass das eine große Dummheit gewesen ist, und man aber irgendwie den Zugang zu dem anderen nicht mehr findet und man befürchtet, dass sowieso der ganze Beziehungsstress wieder von vorne losgehen wird, man aber trotzdem vor Liebe vergeht und nichts lieber möchte, als …«
    »Wie heißt sie denn?«, unterbrach Rudolf lächelnd.
    »Theodor.«
    Rudolf schwieg kurz. »Dann würde ich ihm sagen, dass ich ihn vermisse, und gut zuhören, was er antwortet.«
    David starrte auf das Lenkrad und hörte das wilde Hupen hinter sich nicht. »Rudolf Euter«, sagte er mit zitternder Stimme. »Du bist der beste Freund, den ein Mensch haben kann.«
    »Dito, lieber David. Dito. Und jetzt fahr mal ein Stück vor, sonst werden wir gleich vom Mob gelyncht.«
    Natalie saß auf einer Bank und wartete auf die U-Bahn. Angenehm kühl war es hier, wenngleich es nicht besonders gut roch. Sie kramte in ihren Tüten, strich über die Fransen des seidenen Schals, dann stießen ihre Finger gegen die Schachtel mit den Glückskeksen, und Natalie konnte nicht widerstehen. Sie riss die Packung auf, zerrte gierig einen Keks aus seiner goldenen Hülle, brach ihn in der Mitte durch und holte das längliche Papierchen heraus. Dann stopfte sie sich die beiden Kekshälften in den Mund. Kauend blickte sie sich um. Ob jemand sie beobachtet hatte? Aber niemand schaute zu ihr hin. Natalie las die Keksbotschaft. Wer gefunden werden will, muss sich verstecken.
    »Aha«, machte sie ratlos. Wie war das jetzt zu verstehen?
    Es konnte doch kein Zufall sein, dass ausgerechnet diese alte Weisheit sie jetzt und hier erreichte. Natalie schloss die Augen, um besser nachdenken zu können, bekam nur am Rande mit, dass die U-Bahn ein- und wieder ausfuhr, und beschloss, einen weiteren Keks zu öffnen (und zu essen), der ihr vielleicht einen Hinweis geben könnte. Krachend zerbiss sie das krosse Gebäck und las: Nicht jeder Ratschlag hat Hand und Fuß.
    »Hm?«
    Nicht einmal der inneren Zwergenstimme wollte dazu etwas einfallen. Es war doch wie verhext. Ärgerlich steckte sich Natalie einen dritten Keks in den Mund, vergaß, ihn vorher durchzubrechen, und spuckte die Botschaft hastig wieder aus.
    Die Feder ist mächtiger als das Schwert.
    Natalies Herz begann schneller zu schlagen. Na, das war doch endlich mal was. Das war doch so klar wie …
    Kloßbrühe , schlug der Zwerg vor.
    Zu trivial, befand Natalie. Diese Glückskeksbotschaft war ein himmlisches Zeichen. Sie, Natalie Schilling, würde selbst zur Feder greifen und all die rasselnden Säbel und klirrenden Schwerter aus den Mittelalterromanen zum Teufel schicken. Dazu hatte ihr Theodor Silberstadt doch auch schon geraten. Und ihren ersten Satz hatte sie neulich bei Vollmond bereits formuliert.
    Um die göttliche Botschaft zu besiegeln, vertilgte Natalie einen vierten Keks, der so etwas wie eine Bestätigung von oben sein sollte.
    Wer in die Fußstapfen anderer tritt, hinterlässt keine Spuren.
    »Genau«, murmelte Natalie mit vollem Mund und glaubte zu spüren, wie ein Hauch von Magie sie streifte. Vielleicht war es auch nur der Fahrtwind der U-Bahn, die gerade wieder davonfuhr.
    Natalie hatte also noch Zeit für einen abschließenden Glückskeks. Wer den Kern essen will, muss die Nuss knacken.
    Nun, damit konnte sie jetzt so spontan nichts anfangen, aber man musste den Botschaften ja auch Zeit lassen, ein wenig zu wirken. Wieder wehte ein zauberischer Wind.
    Wenig später kam die nächste U-Bahn, und diesmal stieg Natalie ein.
    ▶◀
    »Ich vermisse dich«, sagte David. »Ich vermisse dich.«
    Und gleich noch einmal: »Ich vermisse dich so sehr.« Er sagte es seinem Spiegelbild. Wie blöd er dabei aussah. Genervt drehte er sich um und sprach in Richtung des Atelierfensters. »Ich vermisse dich.« Seine Stimme sollte sich sanft, aber nicht fordernd anhören, eher bescheiden. Es sollte eine schlichte Feststellung sein, voller Wärme und Güte. Wie Musik. Ich vermisse dich. Ganz sotto voce . Er griff zum Telefon. Seine Hand zitterte. Seine Stimme hoffentlich nicht. Es klingelte.
    Theodor nahm ab. »Hallo?«
    »Ich ver… verdammte Scheiße! Wir

Weitere Kostenlose Bücher