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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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im Wohnzimmer Staub wischen können.
    Hupend fuhr der polnische Shrek davon. Sie winkte ihm hinterher, bis er um die Ecke gebogen war, und als sie den Arm sinken ließ, merkte sie, dass sie die Plastiktüte mit den 500-Euro-Absatzschuhen auf der Rückbank liegen gelassen hatte. Sie wollte schon losrennen, winkend und rufend dem Taxi hinterher, aber ihre Füße taten viel zu weh. Hektisch kramte sie in Lisa der Listigen herum, um die Taxizentrale anzurufen. Aber entweder lag ihr Handy zu Hause auf dem Küchentisch, oder Lisa hatte es in den Schlosspark gespuckt. Natalie konnte es nicht finden.
    » Do widzenia , Jimmy Choo«, murmelte sie leise und blinzelte gegen die aufsteigenden Tränen an. »Da freut sich bald eine polnische Ehefrau ganz doll.«
    Was nun? Natalie erwog, ins Dollinger zu gehen oder ins Leonhardt , aber sie hatte eigentlich gar keine Lust auf Kaffee. Und auf weitere qualvolle Schritte schon gar nicht. In diesem Moment trat jemand aus der Tür. Natalie nutzte die Chance und schlüpfte in den Hausflur. Drinnen war es kühl. Sie würde sich jetzt einfach oben auf die Treppe setzen, warten und das Ganze als meditative Übung betrachten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht begann Natalie ihren Aufstieg. Eine weitere Übung … im Ertragen irdischer Pein.
    Nach wenigen Stufen zog Natalie die Ballerinas aus und atmete auf. Warum leiden, wenn man nicht muss? Barfuß kam sie vor der Praxis an und legte ihr Ohr gegen die Tür. Sie hörte zunächst gar nichts und dann die fiese innere Zwergenstimme: Ist nicht möööglich, Natalie-Knattalie! Ist dir eigentlich gar nichts peinlich?
    Wie ertappt fuhr sie zurück. Dann setzte sie sich auf den Treppenabsatz und versenkte sich in den Anblick ihrer Füße. Fersen und Ballen waren stark gerötet. »Aua«, flüsterte Natalie und streichelte ihre großen Zehen.
    Plötzlich horchte sie auf. Da kamen Leute die Treppe hoch. Was sollte sie tun? Einfach sitzen bleiben, beschloss sie. Sie tat ja nichts Verbotenes. Keine weitere Ordnungswidrigkeit.
    Eine kleine alte Frau mit zusammengefaltetem Regenschirm tauchte auf, gefolgt von einem rothaarigen Mädchen, dessen Gesicht von Sommersprossen übersät war.
    »Jetzt reißt du ein Stück Tesafilm ab und klebst es hier auf das Papier«, sagte die Frau zu dem Kind. Dann erblickte sie Natalie.
    »Huch, haben Sie mich erschreckt!«
    Natalie zog die Beine an. »Entschuldigung.«
    Die Frau lehnte ihren Schirm gegen die Tür von Theodor Silberstadts Praxis. »Fein, Rosilein. Aber das nächste Stück muss nicht so lang sein.«
    »Die Frau hat keine Schuhe an.«
    »Das sehe ich.«
    »Warum hat die Frau keine Schuhe an?«
    »Weil sie sie ausgezogen hat.«
    »Warum?«
    »Vielleicht haben sie ihr wehgetan.«
    »Warum?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Warum?«
    »Rosie, hör schon auf.«
    »Deine Oma hat Recht«, sagte Natalie. »Meine Schuhe haben mir tatsächlich so wehgetan, wie der bösen Stiefschwester die Schuhe vom Aschenbrödel wehgetan haben müssen. Nicht, dass ich etwas mit Aschenbrödels böser Stiefschwester zu tun habe! Ich hätte niemals versucht, meiner Schwester einen Prinzen auszuspannen, ich habe leider auch gar keine Schwester, ich wollte eigentlich nur sagen …«
    »Sind Sie eine Klientin von Doktor Silberstadt?«, unterbrach Hertha.
    Natalie nickte. »Ja, bin ich.« Sie hätte dem kleinen, ernst schauenden Mädchen gern noch erzählt, wer sie eben im Taxi hergefahren hatte, aber unter dem strengen Blick der alten Frau traute sie sich nicht.
    »Das habe ich mir gedacht«, murmelte Hertha.
    »Wieso?«
    »Mein Sohn ist erkrankt.« Hertha wedelte mit den Händen, als wollte sie ganze Schwärme lästiger Fliegen verscheuchen. »Sie sollten sich demnächst einen neuen Termin geben lassen.«
    »Ihr Sohn ?«
    »Jawohl.«
    »Dann sind Sie seine Mutter?«
    »Allerdings.« Mein armer Junge, mit was für Bekloppten er zu tun hat, dachte Hertha und widmete sich dem Ankleben des Zettels, den sie vorhin beschrieben hatte: Wegen schwerer Krankheit leider auf unbestimmte Zeit geschlossen. Rosie hatte darauf bestanden, Blumen unter das Wort Krankheit zu malen und fünfundzwanzig »Hello Kitty«-Sticker auf dem Blatt zu verteilen.
    »Sehr hübsch«, hatte Hertha gelobt, und dann waren sie hergekommen.
    »Fertig«, sagte Rosie gerade.
    »Was hat denn Herr Silberstadt?«, wollte Natalie wissen.
    »Er hat Fieber und große Füße«, erklärte Rosie.
    »Schlimm?«
    Rosie nickte und breitete die Arme aus. »Sooo groß!«
    Hertha verstaute die

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