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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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für Theodor zurückgelegt, die sie ihm bei nächster Gelegenheit schenken wollte. Am Abend wählte sie seine Notfallnummer und redete drauflos, sobald er abgenommen hatte.
    »Sie haben was?«, unterbrach er.
    Theodor hatte Gliederschmerzen. Die Erkenntnis, dass David ohne ihn bestens im Leben zurechtzukommen schien, nicht nur Freundschaften mit den richtigen Leuten schloss, sondern offensichtlich auch einen lover hatte, traf ihn tief. Außerdem quälte ihn ein Husten. Sinnend lag er im Dämmerlicht auf dem Sofa. Die Fenster im Wohnzimmer waren weit geöffnet, Geräusche aus dem Park drangen zu ihm in die Höhe: Lachen, das Klicken von Boule-Kugeln, Vogelgesang.
    Die ganze Welt ist himmelblau, dachte er grämlich.
    Hertha hatte vorhin das Gröbste in der Küche aufgeräumt und den Mops abgeholt. Eilig hatte sie es gehabt, denn Rosie müsse ins Bett gebracht werden, erklärte sie. Ein Butterbrot, eine Kanne Salbeitee und Codeintropfen hatte sie ihm noch hingestellt, dann war sie schon wieder weg. Ein Hauch ihres Parfüms blieb in der Luft hängen. L’Air du Temps . Es roch so sehr nach seiner Maman, die sich am heutigen Tag dermaßen unmütterlich verhalten hatte, dass Theodor sich in das fünfzehnte Tuch einer Küchenrolle schnäuzen musste. Was war das bloß für ein verhexter Tag, der einfach nicht zu Ende gehen wollte?
    Nun gab ihm Natalie Schilling den Rest.
    »Ich habe Entscheidungen getroffen«, rief sie aufgeregt ins Telefon, »ganz alleine, musste ich ja, Sie waren ja krank.«
    »Was denn für Entscheidungen?«
    Natalie seufzte. »Warten Sie, ich versuche, es der Reihe nach zu erklären.«
    Dann begann sie von einer Erleuchtung in der U-Bahn zu reden, die mit Flip-Flops und Fußstapfen zusammenhing. »… und ich begriff, wie sehr mich der Büchershow-Job abstößt«, sagte Natalie atemlos. Bevor Theodor nachfragen konnte, fuhr sie mit zitternder Stimme fort: »Ich möchte keine Mitschuld an der Verblödung Deutschlands tragen, und da habe ich mir gedacht, dass ich das Moderieren ja auch einfach sein lassen kann. Live oder nicht live. Ich sehe mich außerstande, jemals wieder ein Buch in die Kamera zu halten, in dem es um das große Gratis-Glück oder um Hauruck-Wunscherfüllung geht. Oder um Hebammen auf dem Holzweg und Vampire auf dem Selbstfindungstrip. Oder um eine Jungfer im Jasmin oder …« Natalie holte tief Luft. »Es kann mich ja keiner zwingen. Was meinen Sie?«
    Theodor hustete eine Weile, dann rief er mit krächzender Stimme: »Sie werden doch Ihren fabelhaften Job nicht an den Nagel hängen! So eine Chance bekommen Sie nie wieder!«
    »Ihre Mutter sagte mir, ich soll meine Entscheidungen mal hübsch alleine treffen und …«
    »Meine Mutter?« Theodor fuhr in die Höhe, verrenkte sich dabei den Hals und schnappte nach Luft.
    »Ich traf sie heute Vormittag vor der geschlossenen Praxistür mit einem kleinen Mädchen«, erklärte Natalie. »Sie ist eine sehr nette Frau, voller Energie, und was sie sagte, gab mir zu denken. Es klang so schlicht und gleichzeitig so wahr: Entscheidungen hübsch alleine treffen, als wäre es das Einfachste auf der Welt, und etwas Schönes noch dazu. Und wissen Sie was? Das war es auch. Als ich die erste Entscheidung getroffen hatte, rollte die nächste einfach hinterher, wie … ein Schneeball einen Berg hinabrollt, und auf einmal war da eine ganze Lawine. Ja! Das ist das richtige Bild. Lawinenhaft. Donnernd. In die Tiefe stürzend.«
    Theodor hörte sich mit den Zähnen knirschen. Es war ein grässliches Geräusch. Und dann musste er wieder husten. Als er fertig war, trank er einen Schluck Salbeitee. »Sie richten also den weiteren Verlauf Ihres Lebens nach der unbedachten Bemerkung einer Zufallsbekanntschaft und treffen in der Berliner U-Bahn wahllos und kunterbunt lauter Entscheidungen, ohne Rücksprache mit mir zu halten? Was sind denn das für Entscheidungen, wenn ich fragen darf?«
    »Sie reduzieren zu sehr«, widersprach Natalie. »So wie Sie es formulieren, klingt es ja, als hätte ich einen Knall! Ich bin lediglich dabei, Eigenverantwortung zu übernehmen.«
    Wie abgedroschen, dachte Theodor, das kann sie nur aus einem ihrer »Hilf dir selbst und sei frei«-Bücher haben. Er schloss die Augen und knetete seine Nasenwurzel.
    »Herr Silberstadt? Sind Sie noch dran? Nehmen Sie es bitte auf keinen Fall persönlich, ich versuche nur auszudrücken, dass das, was Ihre Mutter zu mir sagte, einen großen Eindruck auf mich gemacht hat.«
    »Hat irgendetwas von dem, was

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