Ein Hund mit Charakter
Tschutora«, ruft er zufrieden.
Für beide ist es der erste persönliche Dialog ihres Lebens. Die seltsame Beziehung, die sich mit mysteriöser Gesetzmäßigkeit zwischen Mensch und Hund entwickelt, nimmt von diesem Moment an ihren Lauf. Der am Boden herumsuchende kleine Hund bleibt stehen und lauscht dem Klang dieser Stimme: Sie dringt von oben zu ihm hinab, ergibt für ihn noch keinen Sinn, ist aber doch sein Schicksal, die Stimme, die fortan über Wohl und Wehe der Kreatur befindet. Vorläufig nimmt sie davon noch keine Notiz. Eifrig, als hätte sie schrecklich viel zu tun, krabbelt sie im Zimmer umher, beschnuppert alle Ecken, den Garderobenständer, die Stöße von Makulatur, vergißt sich zwischendurch zweimal, locker und fröhlich, denn jetzt zweifelt keiner mehr daran: Wunder gibt es nicht. Besucher kommen, die man anbellen muß. Höflich, aber doch herablassend nehmen sie von der Anwesenheit des kleinen Hundes Kenntnis, fragen nach Rasse, Geschlecht und womöglich auch nach der Religionszugehörigkeit, so wie es eben Brauch ist in einer Welt, in der allerlei Zwangsvorstellungen und Vorurteile die gesellschaftliche Situation einer Kreatur bestimmen. Über das beiläufige Begrüßungsgebell hinaus zeigt das Hündchen seinerseits an Geschlecht, Rasse oder Konfession der Eintretenden nicht das geringste Interesse. Der rohe, ranzige Geruch der Makulatur, die eine nicht zu bezwingende Faszination auf das Tier ausübt, nimmt es vollständig gefangen. Mit Gleichmut läßt es die gönnerhaft albernen Kosewörter der Besucher über sich ergehen, und wenn man überlegt, daß es erstmals in einer Redaktion weilt, muß man feststellen, es legt ein ziemlich unbekümmertes und souveränes Verhalten an den Tag.
»Wau-wau, Kleiner«, sagen die Besucher in gedankenlosem Entzücken, denn an einem jungen Hund kann und darf sich jeder selbstlos freuen. Gewöhnlich ist er auch etwas Nettes, Niedliches. Und von kleinen Hündchen versteht doch jeder was. Bei ihrem Anblick hellen sich selbst trübsinnigste Mienen auf. Es kostet ja auch nichts, wenn man nett zu einem Hündchen ist. Und weil es die Hundebesitzer immer freut, daß von dem Lebewesen, welches sie ausgewählt haben, lobend gesprochen wird, weil kleine Freundlichkeiten der Freundschaft dienlich und dazu noch besonders billig sind, ist der erste Auftritt eines jungen Hundes auf der Weltbühne stets von warmem Applaus begleitet. Die Premiere war ein Erfolg. Renommierte und professionelle Theaterkritiker rühmen anerkennend sein Debüt, die Art seines Spiels und die lockeren Bewegungen, wissen seine Stimme zu loben … Man könnte auch sagen: Tschutora hat eine gute Presse.
Die Stunde des Festes rückt näher, zu dem sich Feinde die Hände reichen, Freunde wohlmeinende Wünsche austauschen und die Welt sich für einen Augenblick den Anschein gibt, als wäre sie tatsächlich friedfertig und von gutgesinnten Menschen bevölkert. Der Herr schmuggelt den Hund in seiner Manteltasche in die Wohnung, schließt das Arbeitszimmer hinter sich ab und versteckt das Geschenk im Papierkorb, aus dem es nicht herauskrabbeln kann; es ist verdutzt, verhält sich aber ruhig, fühlt sich offenbar wohl inmitten des vielen Zeitungspapiers, scheint – anders als sein Herr – geradezu eine Schwäche dafür zu haben.
Während sein Herr in Eile die Kleider wechselt, quengelt der Hund nur gelegentlich leise, weil er sich langweilt, doch schon ein Zuruf, ein beschwichtigendes Wort bringt ihn zur Ruhe. Aber dann arbeitet er sich doch nach oben, legt die Vorderpfoten auf den Rand des Papierkorbs und schaut hinaus in die Welt. Alles an diesem Kerlchen ist so winzig, so zu Herzen gehend tapsig, daß es vielleicht auch bei Theres Gnade finden wird, denkt sich der Herr. Um diese Stunde erfüllt die Wohnung bereits eine gedämpfte, süßliche Festfreude.
Nebenan läutet das Telephon, und es ist auch jemand gekommen, Theres trifft Verfügungen und nimmt Pakete entgegen, das Bad ist seit längerer Zeit von der Dame okkupiert, sie bleibt für die anderthalb Stunden des Umkleidens unsichtbar und unnahbar.
»Jetzt bist du still, Tschutora!« murmelt der Herr leise und sehr vertraulich, »zehn Minuten bleibst du noch da und bist brav, Freundchen.« Tupft mit den Fingerspitzen auf das mit weichem Seidenfell bedeckte Köpfchen des Geschenks. Der Hund streckt dem Herrn die Pfote entgegen, als wollte er ihm die Hand reichen. »Ja, ich wünsch dir, daß du dich wohl fühlst bei uns!« nimmt der Herr dieses
Weitere Kostenlose Bücher