Ein Hund mit Charakter
Zeichen auf und gibt ihm die Hand. Sie blicken sich in die Augen. Tschutora aber kann dem Blick nicht standhalten, zwinkert und dreht sein Köpfchen zur Seite.
Inzwischen hat die Wohnung für diesen festlichen Abend die ganze ihren bürgerlichen Möglichkeiten entsprechende Pracht entfaltet. Alles steht ordentlich an dem ihm zugedachten Platz, wie im Museum, und während der Herr so durch die Zimmer eilt, überwältigt ihn für einen Augenblick erneut dieses gelegentlich wie ein Schwindel auftretende Staunen, das er über seine Art zu leben empfindet: so als zeige man ihm weit, weit hinten in ferner Vergangenheit etwas, eine Wohnung aus dem Jahr 1928, als würde ihm vorgeführt, wie Menschen früher gelebt haben, umgeben von Gebrauchsgegenständen, deren Alltagsfunktion komplizierte Formen und Schnörkel verdecken, von Stühlen, deren Beine sonderbarerweise in Löwentatzen enden, unter Lampen, die ihr Licht sinnlos nach oben werfen und den Raum im Dämmerlicht lassen, wo doch darunter Menschen leben und sehen möchten, inmitten von Bräuchen, starren Gewohnheiten und Ritualen, die mit unbezwingbarer Hartnäckigkeit auftreten und auch den Alltag zu einer Art kompliziertem Ritual machen. Manchmal hat er den Eindruck, man zeige ihm all das als kulturgeschichtliche Kuriosität dreißig oder vierzig Jahre später im Film. Das eigensinnige Fortbestehen dieser Lebensart kommt ihm vor, als beobachte er das Weiterwachsen von Haaren und Fingernägeln an einem herausgeputzten Leichnam. Und weil ihm der Glaube an die kalendergerecht eintreffende Revolution fehlt, macht er sich eher darauf gefaßt, daß eines Tages bei einer unbedachten Berührung dies alles zu Staub zerfällt, weil doch der Lebensinhalt solcher Formen bereits völlig vertrocknet ist, der Irrglaube einer Kultur sich in Luft aufgelöst hat und das Übriggebliebene nichts anderes ist als ein naives Tabu und lächerlicher Fetisch.
Das ist nur ein Gefühl, ein Aufblitzen, und er denkt es nicht zu Ende, wenn er jetzt die Zimmer durchquert; vielmehr fragt er sich, ob man wohl den Wein gebracht hat. Und da ist ja auch schon der brave Josef, im knapp gewordenen Abendanzug steht er etwas förmlich, mit biederer Feierlichkeit an der Wand, putzt sich die Brille und zeigt dieses verlegene Lächeln eines Menschen unter der Nase, der nie ganz sicher sein kann, daß die Welt wirklich so beschaffen ist, wie man es ihm gesagt hat, und ob er nicht doch ständig betrogen wird. Dem Herrn gefällt dieses Lächeln an Josef. Rund um das karge Bäumchen, das gern schöner sein möchte, als es ist, und nun, im Schmuck der Kerzen, Tante Gisella zum Verwechseln ähnlich sieht, liegen in Seidenpapier verpackte kleinere und größere Schachteln – jede von ihnen ein mit Goldband umwundenes und mit einem Zweiglein geziertes gebrochenes Ehrenwort. Der Herr wendet seinen Blick von den Päckchen ab und fängt an zu hantieren; in der nächsten Viertelstunde sind alle seine Gesten und Worte von der Erinnerung bestimmt, hält ihn ein Zwang aus Kinderjahren gefangen, wie nach einer eingeübten Liturgie legt er Hand an und arrangiert – zieht das Grammophon auf, legt die Schallplatte auf den Plattenteller, die anstelle der nicht vorhandenen Kinder mit mechanischer Andacht den Weihnachtschoral abspielen wird, holt nun seinerseits aus verschlossenen Schubladen allerlei kleine Päckchen hervor, schreibt Widmungszeilen in Bücher und steckt Banknoten in ein Kuvert, das für Theres bestimmt ist, die in diesem Jahr auch noch Tischtücher für ihre späte Aussteuer bekommt, da es »nicht ausgeschlossen ist, daß sie sich doch noch entschließt«, wie sie seit letztem Frühling mit verschämter Anzüglichkeit öfter verlauten läßt. Die lieben Cousinen in ihren selbstgeschneiderten festlichen Kleidern sind ebenfalls schon eingetroffen, und Theres, die bereits den ganzen Nachmittag von der Atmosphäre prickelnder Feierlichkeit wie berauscht ist, nimmt sie, stellvertretend für die Dame des Hauses, laut und familiär in Empfang.
Während die Familienmitglieder im Eßzimmer das Gläschen Wermut schlürfen und sich unterhalten, knipst der Herr die Lampen aus und zündet am festlichen Bäumchen die Kerzen an. So hat es schon der Vater getan und der Großvater auch, dieser Vorbereitungsritus lebt unter seinen Händen fort, so wie eine Generation auch in Geschmack und Ausdrucksweise die Familienrituale weiterführt – denn was sonst sind Religion und Kultur, sinnt er verstimmt und kratzt sich einen heißen
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