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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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zwei Wochen noch schlechter schreibe als sonst? So ist es immer, wenn mir ein Erlebnis dazwischenkommt … ja, natürlich. Beides gleichzeitig geht einfach nicht: Entweder schreiben oder einen Hund aufziehen. Entweder man widmet sich einer Sache richtig, oder man schreibt. Na ja … Aber wie schafft es dieses kümmerliche Hündchen, mich so aus dem Konzept zu bringen? Etwa weil er so gründlich ist und noch keine Hemmungen hat … Er schläft, jault und staunt, wenn ihm gerade danach ist … Seinerzeit, bei den anderen Hunden, ist mir das nicht aufgefallen. Möglich, daß ich damals selbst noch keine richtige Disziplin hatte … Doch was würde aus der menschlichen Gesellschaft, wenn alle … Nicht auszudenken … Denn immerhin, die Zivilisation, die Französische Revolution, die Menschenrechte – keine Kleinigkeiten … Er wird sie schon noch begreifen, die Rechte der Menschen … Und bis es soweit ist? … Aber warum bewegt mich dieses banale Phänomen so sehr? Vielleicht, weil ich allmählich die Menschenrechte viel zu gut kenne und gelten lasse? … Viel zu sehr, unerträglich? … Beneide ich ihn etwa, bin ich eifersüchtig auf ein Tier? … Oder ist es noch etwas anderes? … Möglicherweise reagiere ich jetzt sensibler, vielleicht stecke ich in einer Krise, wenn mir die ersten Schritte eines Hundes in der Welt mindestens so nahegehen und genauso bemerkenswert erscheinen wie Napoleon oder Lenin … Früher war das anders bei mir … Es gibt eine sonderbare Form sinnlichen Erlebens … Es reagiert nur auf Reales, Wunschvorstellungen vermögen es nicht mehr zu bewegen …«
    Er schweigt, und mit gespannter Aufmerksamkeit wartet er auf die Antwort.
    »Man muß ihm ein Mäntelchen nähen«, meint die Dame versonnen, die inzwischen mit ihren Gedanken ganz woanders war. »Nichts Feines natürlich. Etwas aus derbem Stoff, das ist das Richtige für den Hund eines ungarischen Schriftstellers. Ich habe einen dicken, geringelten alten Strumpf, daraus ließe sich etwas machen. Den streift man ihm einfach über den Kopf. Dann sieht er aus wie ein ungarischer Schriftsteller, der gegen das Pressegesetz verstoßen hat, im Sträflingsdrillich. Das genügt vollständig für diesen Winter, für sein Leben in der Welt. Sagtest du etwas? …«

Geschlecht und Charakter

    Gleich in den ersten Tagen kommt es zu dieser infernalischen Szene mit der Hundeleine. Wir müssen den werten Leser allerdings um Nachsicht bitten, wenn wir bei unseren Aufzeichnungen einen Bogen um die großen allgemeinen Fragen der Zeit machen und uns statt dessen mit so belanglosen Details beschäftigen. Denn wir beabsichtigen im Rahmen dieser Arbeit weder »das Verhältnis Tier–Mensch« noch andere existentielle Probleme von ähnlich allgemeinem Charakter zu klären, verzichten auch auf das Recht, Urteile zu fällen und Schlußfolgerungen zu ziehen. Wir gestehen, daß wir nichts wissen. Ziel und Zweck der Erörterungen ist lediglich, das eine oder andere anschaulich zu machen.
    Die Katastrophe mit der Leine ereignet sich am dritten oder vierten Tag, und sie ist wichtig, festigt sie doch ganz unerwartet Tschutoras gesellschaftliche Stellung in der Familie. So einer bist du also! …, sagen sie verblüfft und unisono. Verdutzt, mit aufgesperrtem Mund wird er angestarrt. Man stelle sich einmal vor, jemand nimmt ein wenige Tage altes Baby an Kindes Statt an, packt es in ein spitzenverziertes Wickelkissen, füttert es mit dem Fläschchen, lallt ihm in Säuglingssprache allerlei Liebes und Herziges vor – und eines Tages stellt sich heraus, daß der Säugling regelmäßig nachts ausrückt, sich einen falschen Bart anklebt, in Gesellschaft vagabundierender Akrobaten säuft, flucht, hurt, in ausgelassener Stimmung Eisenstangen verbiegt und erst im Morgengrauen zurück ins Wickelkissen schlüpft, den falschen Bart versteckt und den am Morgen ahnungslos erwachenden Hausgenossen einen zwar weinseligen, aber babyhaft sanften Morgenschlaf vortäuscht … Für eine vergleichbare Überraschung sorgt nämlich Tschutora, als er zum ersten Mal an die Leine genommen werden soll.
    Die Herrschaften reden noch nach Jahren über dieses verblüffende Ereignis. Sie nehmen also auf Anraten einer Dame aus Amerika ihren Hund an die Leine, diese hat die ausgezeichnete Empfehlung von weit her gebracht. Die Lady ist übrigens auch selbst Besitzerin eines jungen Hundes: Billy heißt er, spricht Englisch und ist seiner Abstammung nach ein Bullterrier, sofern es so etwas gibt. Er ist

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