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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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denen die Umstände hier bestens bekannt sind, »weißt du, meine Liebe, der Hund dieses Großen, Korpulenten, der letztes Jahr mehrmals mit einer Schauspielerin auf dem Gellértberg gesehen wurde. Seine Frau, diese arme bedauernswerte Person … Aber natürlich, nach Paris reisen müssen sie!« So geht es zu in der Christinenstadt. Und Tschutora, da macht er sich klein, ist ganz still und betreten! Der wandelnde Gleichmut und die sanfte Besonnenheit in Person, mit ausgesuchter Höflichkeit läßt er der Dame den Vortritt, schleicht mit hängenden Ohren und hängendem Schwanz dahin, trottet mit abgewandtem Kopf am Zaun entlang und überhört die wilden Beleidigungen einfach. Er hat keinen Blick für den Widersacher, er, der über ein unfaßbar feines Gehör verfügt, ist plötzlich taub. Sobald sie aber den bedrohlichen Bereich des Höllengeheuls verlassen, strafft sich der kleine Hundekörper wieder, schaut Tschutora mit fragendem Blick zur Dame empor, als käme er geradewegs aus einer Phase großer Nachdenklichkeit: »Was gibt’s? War was? Hat hier jemand was gesagt?« scheint er zu fragen.
    Was ist es eigentlich, das Hunde bei einer Gelegenheit anzieht, ein anderes Mal in rasende Wut geraten läßt? Welche unbewußten Sympathien oder dunklen Absichten leiten und hetzen die Tiere? Die Dame wird doch nicht etwa richtig liegen mit ihrer unsäglichen und dilettantischen Totemtheorie und all den dummen Mutmaßungen über die Duftnoten feindlicher Großväter? Entrüstet weist der Herr derlei Spekulationen von sich. Was wissen wir schon voneinander, ist nicht auch die Welt der Menschen voll von Wirrnissen, unbegründeten Ängstlichkeiten und Sorgen, von schmerzlich egoistischen Forderungen, ohne jede Hoffnung, daß wir eines Tages das Geheimnis, welches Mensch an Menschen bindet, beim Namen nennen können; wie sollten wir dann erst die Existenz der niedrigeren Bereiche verstehen, in denen Kreaturen sehr laut – zwar in ganz unterschiedlichem Tonfall, aber dennoch mit unheimlich fremder Zunge – ihre ewigen Unterhaltungen führen, die vielleicht gar keinen Zweck verfolgen? Der Herr pflegt solcherart Problemstellungen mit einer gewissen Scheu aus dem Weg zu gehen, weil man einfach, als Mensch mit Manieren, in Gesellschaft nicht gern von der Hundeseele oder überhaupt von der Unsterblichkeit der Seele spricht. Schließlich existiert nicht nur für das augenscheinliche Benehmen, sondern auch für die Art des Denkens so etwas wie eine Kinderstube, die einem eine gewisse Disziplin auferlegt und zudringliches Interesse sowie unschickliches Hinterfragen der intimen Geheimnisse unserer Existenz verwehrt. Es gibt im Leben eben Dinge, zu denen selbst gläubige Seelen ihrem Gott keine Fragen stellen. Doch bleiben wir mit beiden Beinen auf der Erde.
    Auf der Erde nämlich will es in diesem Jahr nur sehr langsam und widerwillig Frühling werden. Was weiß Tschutora, der sich in diesen Monaten dank Theres’ klassenkämpferischen Ambitionen sehr zufriedenstellend entwickelt hat, was weiß er von diesem Winter? Sein Herr kann sich nicht erinnern, jemals so fieberhaft, mit solcher Sehnsucht auf die Jahreszeit des Lichts gewartet zu haben wie diesmal. Zwar hat schon Mitte März eine dumpfe, von diffusen Düften schwere, aber sonst eher ermüdende laue Wärme eingesetzt, die nach diesen ersten paar Schlucken den unstillbaren Durst nur noch vergrößerte; Land und Menschen fröstelten unbefriedigt weiter und stöhnten noch Wochen später. Der Frühling will und will nicht kommen in diesem Jahr. Alles ist aus dem Gleichgewicht, die Zeitungen verbreiten seltsame Neuigkeiten, Millionäre stürzen sich ins Meer, und noch Anfang April war von den Finkenvögeln kein Laut zu vernehmen. Ungewöhnliches wird aus der großen Welt gemeldet, von überall her macht sich Ratlosigkeit breit; die Knospen der Kastanienbäume in der Mikógasse zeigen zwei Wochen vor Pfingsten noch keine Neigung, endlich aufzubrechen, und ein sympathischer Klempner in der Rohamgasse hat sich in der wirren Atmosphäre des Vorfrühlings erschossen, angeblich wegen schleppenden Geschäftsverlaufs.
    So geht es jetzt zu in der großen Welt, und das bleibt natürlich auch auf die Ordnung der kleinen Welt nicht ohne Folgen. Wer innerhalb der Ordnung dieser kleinen Welt lebt, ahnt gar nicht, daß das ermattende Warten, in dem man den nicht nur meteorologisch grausamen Winter zu vergessen sucht, nichts anderes ist als akute Todesangst. In der Luft liegt lautstarker Trubel, auch

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