Ein Hund mit Charakter
und Schäkern weiter, während Theres, den Besen in der Hand, im Zimmer hantiert und Tschutora, sie Schritt für Schritt begleitend, geduldig zuhört. Er trottet hinter ihr her, macht jede ihrer Drehungen und Kehrtwendungen mit und schnappt hier und da einmal, gewiß nur, um ihr den Spaß nicht zu verderben, nach dem Wischtuch oder dem Stroh des Reisbesens.
Ihr kaum zu bremsendes, tiefes und trauriges Mitteilungsbedürfnis, das eine der auffallendsten Charaktereigenschaften von Theres ist, bricht in der Morgenfrühe alle Dämme und ergießt sich in einem Redeschwall über Tschutora. Sie berichtet ihm von Träumen und Hoffnungen, erzählt vom Heimatdorf, in dem es keinen Leinenzwang für Hunde gibt und wo die süßen Isabellatrauben an der Laube reifen, am Haus der Eltern, denen Theres allmonatlich den Lohn und die Trinkgelder schickt. Sie wird ihn, das verspricht sie Tschutora, im Sommer dorthin mitnehmen. Da können sie auf den gemähten Feldern um die Wette rennen … Über die Felder kann Theres kundig reden, so als besäße sie selber welche. Daß ihre ganze Sippe, sie selbst inbegriffen, mit »den Feldern« nichts weiter zu tun hat, als auf ihnen zu arbeiten, ist ihr keine Erwähnung wert, sondern einfach selbstverständlich. »Und dann kannst du da mit dem Alten spazierengehen«, verheißt sie Tschutora, als wären seine geheimsten Sehnsüchte und die Erfüllung aller Hundeträume darauf gerichtet, mit Theres’ Großvater über die Felder zu wandeln. Das Tier lauscht ihren Worten, folgt ihr Schritt für Schritt, hierhin und dorthin, artig und klug – so wie der Zirkusclown, der in der Manege auch vorgibt, beschäftigt und ganz wichtig zu sein, wenn die anderen arbeiten.
Jedenfalls liegt Tschutora bereits neben dem Frühstückstisch, wenn der Herr sich endlich entschließt, aufzustehen und ins Eßzimmer zu gehen. Seinen Morgenspaziergang und Theres’ Erziehungsweisheiten hat er dann bereits hinter sich. Er begrüßt den Eintretenden, aber jetzt ohne besondere Aufmerksamkeit und Leidenschaft, schließlich weiß man ja, daß er nun nicht aus der großen Welt heimkehrt, sondern nur aus dem Nebenzimmer kommt. Für große Emotionen gibt es also keinen Grund. Ohnehin ist Tschutora in den Morgenstunden stark beansprucht und zerstreut. Die Vormittage sind ausgefüllt mit Telephondienst, mit der Überwachung des Briefträgers sowie anderer Boten, die Rechnungen bringen, und mit den Aufräumarbeiten. Für den jungen Hund, der noch engagiert und gewissenhaft ist, sind diese Stunden des Tages, da er mit Kunden verhandelt, geschäftig tut und sich entsprechend wichtig macht, sozusagen dienstgebunden, ein Mittelding zwischen Schule und Amt. Man gewinnt den Eindruck, daß er sich mit dem Herumwieseln, mit seiner rührenden Emsigkeit unentbehrlich machen will. Wie sollte denn ohne sein Mittun die Morgenpost entgegengenommen oder das Bad gereinigt werden? Wer möchte auf sein Dazwischenkläffen beim Telephonieren verzichten? Natürlich ginge das alles gar nicht ohne ihn. Zwischendurch gönnt er sich bei all den Verrichtungen eine kurze Rast, richtet sich am Sessel des Herrn hoch, um sich Lob und Anerkennung abzuholen, die ihm natürlich auch gezollt werden.
»Dieser Hund ist doch wirklich ein Segen«, sagt der Herr bei solchen Gelegenheiten zur Dame und krault Tschutora mit den Fingerspitzen den Kopf, »ich weiß gar nicht, was wir täten, wenn er nicht überall anpacken würde. Wir haben ihn im passendsten Augenblick bekommen. Ein braver Hund, ein gescheiter, fleißiger Hund.«
»Tu le gâtes«, stellt die Dame fest; aus pädagogischen Gründen spricht sie französisch, damit der Hund es nicht versteht.
In den Augen der Propheten stehen wir in dieser Sache sowieso schon auf verlorenem Posten, und weil wir jetzt wirklich nichts Dringenderes zu tun haben, sehen wir uns einmal einen Tag in Tschutoras Jugend genauer an. Wie bereits erwähnt, hat man seine Zeit nicht in festgelegte Abschnitte eingeteilt. Wenn er sich am Vormittag wichtig tut, kann er sich nachmittags ohne weiteres aufs Ohr legen und macht dafür dann wieder die Nacht zum Tag. Von Zeit zu Zeit verschwindet er für längere Zeit, was ein schlechtes Zeichen ist und nichts Gutes ahnen läßt. Denn in der Einsamkeit brütet er allerlei Ungehöriges aus, nagt insgeheim Möbelbeine an und zerlegt Kissen oder Kleider. Folgen wir ihm daher besser während solcher Tageszeiten, zu denen er bereit ist, am Leben der Familienmitglieder teilzunehmen. Zwar mag der Herr es
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