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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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sich selbst nicht eingestehen, doch insgeheim wird ihm diese gutgemeinte Neigung gelegentlich lästig und zuviel. Jede Liebe und Zuneigung kann, allzu offensichtlich zur Schau gestellt, eine Last und verpflichtend werden. Zu einem späteren Zeitpunkt wird sich der Herr einmal eingestehen müssen, daß ihm von Tschutora grenzenloses Vertrauen geschenkt und ihm aller Zauber und die Zügellosigkeit der Jugend entgegengebracht wurden; und diese Jugend, diesen Überschwang hat er, wenn auch gelegentlich nur mit einer Handbewegung, zurückgewiesen. So wird er später bekennen müssen, daß er von allem Anfang an die ganze Zuneigung des Tiers auf die Dame abgewälzt hat. Aber wie stets in solchen Fällen kommt diese Einsicht zu spät … Doch die Jugend ist immer bestechend und in ihren Äußerungen entwaffnend, sogar eine so zweitrangige Hundejugend wie die von Tschutora. Welches Übermaß an Vertrauen und Selbstvertrauen bei einem jungen Hund! Welche Kühnheit bei so viel Unerfahrenheit! Welche Mißgriffe aus Mangel an Kenntnissen! Wie sonst ließe sich die aberwitzige Aufwallung der Gefühle entschuldigen, die Tschutora in diesen Frühlingswochen allmorgendlich veranlaßt, die Briefträger- und Botenüberwachung, die Telephon- und Aufräumkontrolle zu unterbrechen, sein gesamtes Aktionsfeld sich selbst zu überlassen und auf den Balkon hinauszuhetzen, um, sobald er von der Táborgasse her Hufgetrappel hört, zwei Reiter, eine hochgestellte weibliche Persönlichkeit und ihren Stallmeister, ungebührlich und unverständlich anzukläffen? Jeden Morgen ruft das Erscheinen der Reiter bei ihm einen unverantwortlichen, rotzfrechen Tobsuchtsanfall hervor; Züchtigung, dröhnende Standpauken, alles vergeblich; da hilft es auch nicht, wenn ihm der Herr begreiflich zu machen versucht, daß diese Dame hoch zu Roß kraft ungarischen Gesetzes über jegliche Kritik erhaben ist. Vergeblich malt er dem Hund die verheerenden Folgen aus, die er selbst, der Herr, zu gewärtigen hätte, falls es ihm je einfallen sollte, nicht einmal diese hochgestellte Dame, sondern nur irgendeinen aus deren hoheitlicher Verwandtschaft öffentlich anzukläffen. Unbemerkt ist Tschutora beim ersten Pferdegetrappel auf dem Balkon, klemmt sich bis zum Bauch zwischen die steinernen Baluster des Geländers und verbellt aus vollem Hals, zwischen Himmel und Erde hängend, die ehrfurchtgebietende Amazone. Natürlicherweise und zum großen Glück gelangt das Gekläff nicht bis ans Ohr der hoheitsvollen Reiterin. Auf dem breiten Rücken ihrer Stute thronend, strebt sie mit der angeborenen Würde ihres Standes, begleitet vom Stallmeister mit schwarzem Zylinder, in verhaltenem Trab der Generalswiese zu; sie hat keinen Blick für die schwarzzottelige, unbotmäßig aufmuckende Kreatur, die ihren respektlosen, aufrührerischen Protest auf so geräuschvolle, die Gesetze verhöhnende Weise und so lange zum Ausdruck bringt, bis die Ehrfurchtgebietende samt Begleitung hinter dem Wärterhäuschen auf der Generalswiese verschwunden ist.
    Was verabscheut er so an ihr, wen attackiert er? Unbegreiflich. Keiner seiner Mitbewohner hat ihn das gelehrt, niemals ist in seiner Gegenwart eine respektlose Bemerkung gegenüber der hochwohlgeborenen Person laut geworden – sehr wahrscheinlich ist, wenn wir ganz ehrlich sind, daß in seiner Gegenwart nicht einmal ihr Name erwähnt wurde. Warum nur kann er diesen harmlosen Aufzug der kleinen Kavalkade nicht ertragen? Was ist es, das diesen tollwütigen Anfall auslöst, sobald er das Getrappel der Pferdehufe von der Táborgasse herunter vernimmt?
    »Paß auf, es könnte dir einmal übel bekommen«, warnt ihn der Herr vertraulich, wenn Tschutora nach dem Abklingen des Tobsuchtsanfalls in die Wohnung zurücktrottet und atemlos noch ein, zwei Kläffer tut, wie Asthmatiker oder cholerische Menschen, wenn sie nach einer Auseinandersetzung allein zurückbleiben und noch ein wenig weiterschimpfen. »Du kennst dich mit den Verhältnissen nicht aus. Auf mich brauchst du dich nicht zu verlassen, ich würde mich vergeblich für dich einsetzen. Mein Wort zählt nicht viel. Ich kann dir nur raten, halt dich zurück.« Tschutora sitzt mit erhobenem Kopf und vernimmt die tadelnden Worte schwanzwedelnd, ungläubig und gewissermaßen selbstzufrieden, als hätte er nach so kräftezehrender Pflichterfüllung eher Lob erwartet. Davon kann natürlich keine Rede sein. Der Herr kehrt ins Arbeitszimmer zurück, und Tschutora verdrückt sich deprimiert hinter dem Ofen.

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