Ein Hund mit Charakter
Seite geneigt, und schläft wie ein Stein.
Er ist eingeschlafen, weil ihm die Zeit noch kein Begriff, weil er sehr erschöpft und jung, weil sein Hundetag jetzt zu Ende ist. Die zuckenden Beine des schlafenden Tschutora deuten Laufbewegungen an, er träumt wie alle jungen Hunde von der Jagd, von Jagden, die längst Vergangenheit sind, die vielleicht in eine Zeit zurückreichen, da die Hunde diesen seltsamen Kontrakt mit den Menschen noch gar nicht geschlossen hatten.
Er schreckt nicht auf, weil er todmüde ist: Es ist die schlichte Müdigkeit der unersättlichen, gierigen, zur Einteilung der Kräfte unfähigen Jugend, die vom Morgen bis zum Abend alle Reize der Welt verschlingt, den Geruch von Briefträgern und Rechnungsboten, die durch hochwohlgeborene Reiter verursachte Erregung von despektierlichem, unergründlichem Haß, die abschätzigen Blicke der Lodenherren, die Lust und Wonnen einer Jagd auf behäbig flatternde Krähen, die aufregende Erinnerung an Düfte, Nachrichten, Pamphlete, die an Baumstämmen und Straßenecken der Kenntnisnahme und Erledigung harren, und wer weiß was sonst noch alles, welche Masse an übernatürlichen Mitteilungen, die sich der eingeschränkten Beobachtungsgabe des Menschen und seiner Kontrolle entziehen. All dies durchpulst und bewegt den erschöpften kleinen Körper, läßt ihn gelegentlich im Traum erzittern, als werde er von einer mal schmerzhaften, dann lustvollen Erinnerung durchzuckt. Er hat einen Tag dieser Jugend hinter sich, mit Aufregungen und Enttäuschungen, dieses ermattende, prickelnd fiebrige Chaos ineinanderströmender Gefühle, das ein Kennzeichen der Jugend ist und das später so unvollkommen von der Erfahrung abgelöst, so stümperhaft geordnet wird. Was für ein betäubender und trunkener Schlaf ist das – auch wenn die ganze Welt darin umherschwirrt, so schämt sich der Herr doch wegen seiner Neugier, mit der er den ebenso maßlosen wie einfältigen Wissensdurst dieser drittklassigen Jugend eines kleinen Hundes verfolgt.
Eines Tages, denkt sich der Herr, wird er erwachsen sein und merken, daß er sich den Magen verdorben hat … das war’s dann.
Und dennoch: Was der Tag auch bringen mag, dem Herrn erscheint nichts mehr wichtig oder unwichtig genug, um es nicht mit ebendieser besessenen Unbefangenheit wahrzunehmen. Zwar geniert er sich deswegen und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse – doch er kann nicht anders: Auch wenn er solche Rücksichtnahme für verächtlich, wenig fruchtbringend und fehl am Platze hält und ihm absolut klar ist, daß er damit die Propheten und die gesamte höherrangige und leidende Menschheit verrät, so geht er doch auf Zehenspitzen aus dem abgedunkelten Zimmer, damit er diesen von den Ereignissen des Tages trunkenen Hundeschlaf nicht stört.
Die große Welt
Im Keller unseres Hauses lebt ein sonderbarer Mensch, er schreibt sich Telkes und spricht von Zeit zu Zeit mit dem lieben Gott. Überwiegend nachts. Einmal ist Gott ihm auch erschienen, in einer weißen Dunstwolke, hat sich dann aber gleich wieder verflüchtigt. Was Telkes auf diese Weise dann und wann vom lieben Gott erfährt, pinselt er mit gefälligen runden Lettern, wie einst Moses, auf Tafeln und nagelt diese Holztafeln über dem Kellereingang an die Hauswand. Dieser Mann erfährt eine besondere Genugtuung, wenn er die hehren Botschaften vermehren und verbreiten kann, mit ihrem Text die Vorübergehenden in Staunen versetzt und innehalten läßt. Der Sinn seiner Offenbarungen ist nur schwer zu ergründen, und von der ehernen Schlange bis zum bemalten Sarg, vom Glaubensschild bis zur Lanze der Gnade, reimt sich Herr Telkes allerlei krauses Zeug zusammen, denn in unserer Sprache hat auch eine gläubige Seele ihre liebe Not, sich darin zurechtzufinden. Er selbst erinnert in seinem Äußeren an den biblischen Zimmermann Joseph, trägt einen kastanienbraunen Vollbart, einen Overall aus blauem Leinen und hat sommers wie winters eine schwarze Pelzmütze auf. Auch seine Profession entspricht der des Heiligen, denn wie so viele fromme Erdenbürger macht er, wie Joseph, Zimmermannsarbeiten, tischlert und schreinert. Mit seiner Frau Hansi haust er unten im Keller, gebeizt vom erquickenden Geruch frisch gehobelter Fichtenbretter und einer beklemmenden Duftwolke aus sauer riechenden Leimtöpfen; beide leben dort in einer Atmosphäre, die zusammengerührt ist aus frömmelnder Erhabenheit und magischer Prophetie.
Herr Telkes hat die Schwindsucht und spricht leise. Was aber seinen
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