Ein Hund mit Charakter
Neigungen doch Grenzen gesetzt werden – selbst wenn man nicht von ihm verlangt, daß er mit rotem Sonnenschirm auf einem gespannten Seil tanzt –, wo er aber mit unheimlich mächtigen Kreaturen einer fremden Art zusammenleben muß, und all das nur wegen eines Freßnapfs voll Suppe? … Eine allzu bequeme, billige Antwort wäre das. Wann und wo ist es geschehen, daß sich der Hund so bedingungslos auf Gnade und Barmherzigkeit dem Menschen ausgeliefert hat? Welch dramatischer Akt im Daseinskampf mag da eine Rolle gespielt haben, daß sich das Tier aus der Freiheit in den Stall sehnte und den Menschen zu seinem Schirmherrn wählte? Solche Vorstellungen und Zweifel gehen dem Herrn durch den Kopf, wenn er auf der nassen Wiese zwischen Maulwurfshaufen herumstolpert, das junge Tier abgeklärt und anhänglich ohne Kette neben ihm durch die Dämmerung trottet und nicht im Traum daran denkt, das Weite zu suchen.
Die Wohnung ist leer und dunkel. Ein Fenster steht offen, und die Ausdünstungen haben sich verflüchtigt, die dank der modernen Parfümindustrie nach jedem geselligen Beisammensein im Raum eine Atmosphäre wie in einer französischen Kleinstadtdrogerie erzeugen.
Laue, schwere, ein wenig feuchte Luft dringt durchs offene Fenster ins dämmrige Zimmer, wo Tschutora in einer Ecke unter der Leselampe die Dame entdeckt. Er stemmt sich mit dreckigen Vorderpfoten auf den Rand des Diwans und fängt sofort an, begeistert zu erzählen. So günstig die Situation auch sein mag, auf den Diwan springt Tschutora nicht hinauf; als schätzte er seine körperlichen Möglichkeiten nüchtern ein und wüßte, daß ein so schoßhundhaftes Gebaren bei einem plumpen, ungehobelten Kerl nur unpassend und lächerlich wirken kann. Doch auf die Pfoten gelümmelt und aus gebührendem Abstand meldet und berichtet er angeregt und ausführlich. Natürlich ist ihm jede Einzelheit wichtig, denn was weiß ein so junger Hund schon von der Welt? Alles ist von Belang, deshalb breitet er die Ereignisse mit so wichtiger Miene vor der Dame aus, als habe er die Welt, die vor ihm niemand wahrgenommen hat, gerade für seinen persönlichen Gebrauch entdeckt. So halten es auch die Dichter, denkt der von der schwülen Frühlingsluft, vom Spaziergang und seinen Beobachtungen echauffierte Herr und geht ins Bad, um sich zu säubern. Ja, auch der wahre Dichter ist zutiefst davon überzeugt, die Welt als erster entdeckt zu haben, sinnt er beim Händewaschen weiter. Diese Unmittelbarkeit der Wahrnehmung, die irrsinnige Unbefangenheit, das Selbstbewußtsein und die kraftvolle Frische sind es, die beim Dichter etwas auszulösen vermögen. Natürlich gibt es dann noch die Disziplin, die Treffsicherheit im Ausdruck, die Kraft und den inneren Reichtum der Sprache als Waffen … doch sobald sich der Dichter in Leidenschaften verstrickt und Lebewesen auf den Plan treten, ist es um die berühmte Disziplin geschehen.
So schwadroniert er für sich, ohne Worte, neurotisch und ausdauernd, wie es seiner Gewohnheit entspricht, geht dann gleich in sein Zimmer, um zumindest den Versuch zu machen, vor dem Abendessen noch schnell wenigstens für eine Stunde die durch Spaziergang, Erlebnisse, Tschutora und die Ausdünstungen der Treff- und Pique-Gesellschaft gestörte Tagesdisziplin wiederherzustellen. Er knipst nur das kleine Lämpchen mit dem fingerhutgroßen Schirm an, einen winzigen Strahler, mit dem ein praktisch denkender Erfinder unserer Zeit den lesenden und schreibenden Teil der Menschheit beglückt hat, eine Lichtquelle, die das Zimmer ringsum im Dunkeln und den Leser zu einem im Finstern hockenden Glühwürmchen werden läßt. Er sitzt über den hellen Lichtkegel gebeugt, die Buch- oder Manuskriptseite fest im Blick, die das Lämpchen wie ein Bühnenscheinwerfer aus der Dunkelheit des Raumes ans Licht bringt; und wie er gleichsam auf einer Tonleiter dem verlorenen Ton nachspürt, stößt er unterm Schreibtisch an etwas Weiches, Nachgiebiges. Tschutora duldet den sanften Schubs mit dem Fuß ohne Murren, bietet sich als Fußstütze an und bleibt unbewegt liegen, solange der Herr Wert darauf legt. Auch später, Theres klappert nebenan bereits mit dem Geschirr, rührt er sich nicht. Der Herr leuchtet unter den Tisch und stellt staunend fest, daß weder Geräusche noch Licht den sonst so leichten Schlaf des Hundes stören. Wie ein erlegtes Stück Wild, das von den Treibern nach dem Halali mit zusammengebundenen Läufen hingebreitet wird, liegt das erschöpfte Tier, den Kopf zur
Weitere Kostenlose Bücher