Ein Hund mit Charakter
menschlichen Gemüts ist schier grenzenlos, und ein halbwegs gesunder Mensch hält ziemlich viel aus, sogar die Psychoanalyse.
So gehen die Tage dahin. Der Frühling hat sich längst verabschiedet. Der Herr ist gelegentlich mißgestimmt, wenn ihm im Bus wieder dieser etwas hellere Negertyp von Mädchen gegenübersitzt, das bei erstbester Gelegenheit anzusprechen er sich aus den bekannten Gründen versagt. Auch Tschutora findet bei den sommerlichen Temperaturen keine Ruhe, auch ihn überkommen merkwürdige Neigungen, besonders anziehend scheint zum Beispiel der alte Bernhardiner aus der Nachbarschaft für ihn zu sein, den er manchmal heimlich besucht und sich dort ungebührlich, um nicht zu sagen höchst unanständig aufführt, doch das greise, schon etwas senile Tier nimmt seine Avancen mit dem gleichen Gleichmut hin wie ein Dickhäuter Flohbisse. Welch peinliche Veranlagung! seufzt die Dame. Doch mein Gott, wenn diese Welt nun einmal rundherum so verwirrend ist, sowohl innen wie außen!
Die sanften, aber bestimmten Diagnosen, die sicheren Meinungsäußerungen der Analysedamen wie auch die unfehlbaren Urteile in all den Wirrnissen kann der Herr nur staunend bewundern. Diese Kompetenz, denkt er anerkennend, auf welch festem Fundament sie doch stehen, wieviel Routine in einer Düsternis, in der sich selbst Schopenhauer nur schwer zurechtfand! Odium figulinum , erinnert er sich an den Lieblingsbegriff des großen deutschen Pessimisten, möglicherweise verhilft ihnen das zum derartig erfreulichen selbstbewußten Zusammenhalt. Wohl die zur Zunft gehörende Mißgunst der Töpfer! Jedenfalls packt einen der Neid, wenn jemand auf die Frage, woran ein analysierter Mensch denn zu erkennen sei, mit sanftem Verständnis antwortet, das wisse er nicht, aber den Nichtanalysierten erkenne man mühelos und untrüglich an seiner Angst vor der Analyse … Damit ist doch alles klar.
Also leben sie recht und schlecht fort, Tschutora, die Dame und der Herr, mit ihren Ängsten, Hemmungen und Sehnsüchten, aber ohne Psychoanalyse. Ihrem Schwanken und Wanken auf der sumpfigen Plattform des Lebens wollen wir nicht weiter nachgehen. Sind sie doch nur Schattengestalten, getrieben und geformt von finsteren Mächten; am besten überlassen wir es ihnen, auch weiterhin auf ihre Weise mit den spukhaften Visionen von Leben und Tod fertig zu werden, und zwar mit Hilfe ihres demütigen winzigen Selbstbewußtseins, das ihnen für die Zeit des kurzen Erdendaseins als hinlängliche Waffe dient gegen die unbewußt und künstlich hervorgezauberten heidnischen Mächte der Unterwelt. Haß und Leidenschaft, Sehnsucht und Zorn fesseln auch sie, wie alles Leben. Sollen sie doch fertig werden damit, so gut es geht, möge ihnen das Lichtlein der Vernunft auf dem Weg durch die Dunkelheit der Triebe und Leidenschaften leuchten; oder sie fretten sich weiter mit Aspirin und Abführmitteln statt der Charakteranalyse. Vielleicht hat sie nur der Zufall zusammengebracht, hält sie allein das Gesetz der Trägheit beieinander? Vielleicht ist da auch noch eine andere, unauflösbare Bindung zwischen Mensch und Mensch, manchmal auch zwischen Tier und Mensch, deren Ursprung wir nicht kennen. Eigentlich suchen wir auf solche Fragen und Zweifel eine Antwort mit allem, was wir tun, vielleicht auch mit diesen Aufzeichnungen. Und es ist an der Zeit, daß wir uns, nach so vielen feigen Ausflüchten, auf Mannesart der Sache stellen.
Ich mag dich, aber ich krieg dich klein
Da wäre also Tschutora. Er ist vor fast einem Jahr aus dem Zoo gekommen, aus Lumpen und Stroh unter einem alten Diwan hervorgekrochen, um in einem bürgerlichen Haushalt seinen Hundeplatz zu finden. Dort wurde er, wie wir gesehen haben, vertrauensselig aufgenommen. Die Familie hat ihm einen Platz eingeräumt, nicht nur in der Wohnung, sondern auch in ihrem Leben; Speis und Trank wurden mit ihm geteilt, er bekam den bescheidenen Überschuß an Zärtlichkeit, über den sie unter den bereits offenbarten Umständen innerhalb der Lebensform einer bürgerlichen Familie eben noch verfügten – und das will etwas heißen, wenn wir bedenken, wie schnell die bürgerliche Lebensform den naturgegebenen Zärtlichkeitsvorrat aufbraucht, den das Leben den Geschöpfen mit auf den Weg gibt. Und wenn sie den Trieb, Spenden zu verteilen, da und dort auch im Tier erstickt haben, so waren sie doch bestrebt, ihn auf ihre Art mit Wohlwollen und Vertrauen zu entschädigen; sie sprachen mit ihm wie mit sonst kaum jemand, haben ihn in
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