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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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die Dame verunsichert und eifrig zum lateinischen Wörterbuch, schlägt bei »e« und bei »f« nach und wundert sich stets über das, was sie dort entdeckt. Außer Tschutora, dem man sein laut geäußertes Mißfallen zugesteht, darf natürlich keiner irgendwelche Zweifel äußern und aufmucken, denn sie, die Analytikerinnen, wissen sofort, was das bedeutet. Es ist nämlich ein untrügliches Zeichen für den Wunsch des Betreffenden, sich einer Analyse zu unterziehen, den er sich allerdings nicht zu erfüllen wagt … Ach, die Analytikerinnen wissen alles, vorwärts und rückwärts, das Zukünftige wie das Vergangene! Und sie kommen und gehen und klingeln, von Haus zu Haus, von Stadtteil zu Stadtteil, sie gehen zur Analyse, und sie empfangen zur Analyse, sie berichten einander jeden Morgen, was es bedeutet, wenn man seine Schlüssel zu Hause liegen läßt, und auch wie oft, warum und mit wem.
    Gelegentlich nimmt der Herr Tschutora beiseite, weil er sich nicht mehr traut, mit anderen darüber zu reden, und leise, damit die Dame sie nicht hört, fragt er ihn aus: »Kannst du das verstehen?« … »Hör mal zu, manchmal ist auch mir so sonderbar … Es passiert mir, daß ich auf der Straße gehe oder mit der Trambahn fahre, und plötzlich ist da ein Weibsbild von, sagen wir, siebzehn Jahren, dieser etwas hellere Negertyp, du weißt schon … Und dann überkommen mich so eigenartige, krankhafte Gedanken … Ich habe in dieser Situation beispielsweise nicht den Wunsch, mich mit der jungen Frau bei einem Verein für Psychoanalyse anzumelden und in ihrer Gesellschaft Freuds Studie über da Vinci ins Englische zu übersetzen … Nein, eigentlich möchte ich sie nur ansprechen, ein bißchen mit ihr flirten, wie man das eben gern mit Frauen tut … Und dann wünsche ich mir, daß ich ihr vielleicht einen Vorschlag machen könnte, etwa, mit ihr in ein Hotel zu gehen oder so. Krankhaft, nicht? Aber meist verdränge ich solche Wünsche, weil ich Angst habe, von der Frau erpreßt oder krank zu werden, mich in sie zu verlieben, kurz, ich fürchte mich … Aha! … Komisch, nicht? Und in der Tat, danach bin ich immer ein paar Tage schlecht gelaunt und brumme, bis ich das Ganze vergessen habe … Aber was soll ich machen? Vielleicht ein paar Jahre lang mit irgendeinem wildfremden Menschen darüber reden? Weißt du, manchmal kommt mir die Sache irgendwie verdächtig vor, mir ist, als hätten diese Leute etwas erfunden, was schon von allem Anfang an das A und O des gesunden Menschenverstands, also das ABC des Lebens gewesen ist. Was sie wissen, ist kaum mehr, als daß Lesen und Schreiben Voraussetzung für die Arbeit des Schriftstellers sind … Wo aber fängt denn über dieses Handwerkliche hinaus das Eigentliche an, die Komposition, die schöpferische Gestaltung? Was meinst du? Aber bitte erwähne ihnen gegenüber kein Wort. Sie wirken ja, und das ist das einzig Positive daran, so ausgeglichen und zufrieden … Ja, und was die Unterwäsche angeht, in der ich mich vor dir gezeigt habe, sag, habe ich in Unterhosen wirklich einen so tiefen Eindruck auf dich gemacht?«
    Er sagt das sehr leise und beugt sich dabei ganz nah an Tschutoras borstiges Ohr, flüstert es ihm; als er fertig ist, legt er den Finger bedeutsam an die Lippen – Tschutora gähnt verständnisvoll und ausgiebig, zwinkert ihn an wie ein Mitverschworener. Man kann von diesen Dingen auch gar nicht leise genug reden, denn er gäbe sich ja für alle Zeit der Lächerlichkeit preis, wenn es öffentlich würde, daß er den Ödipuskomplex nicht zwingend für Ursprung und Ursache aller menschlichen Kultur hält. Nein, da zuckt er lieber die Achseln und findet sich damit ab. Auf- und abtretende Priesterinnen der Lehre behandeln ihn ohnehin schon mit schonungsvoller Nachsicht; aufgrund der in letzter Zeit zweimal aufgetretenen eitrigen Mandelentzündung – ein untrügliches Symptom für eine Flucht in die Krankheit und Furcht vor der Analyse – schätzen sie seinen Fall allerdings als ziemlich schwer ein. Er widerspricht der Feststellung nicht, daß auch Tschutoras Fall ein schwieriger ist, denn der flüchtet sich in einen Darmkatarrh, beißt um sich und wird von Ängsten geplagt – er ängstigt sich beispielsweise vor der Kette, an der man ihn festmacht, und haßt den Maulkorb; Auslöser des Darmkatarrhs ist nicht Theres, die ihn maßlos überfüttert, nein, es ist der unterdrückte Sexualtrieb. All diese Umstände sind auf die Dauer ermüdend, doch die Belastbarkeit des

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