Ein Hund zu Weihnachten
jetzt die Geschenke auspacken?«
Mary Ann nahm Jeremy auf den Arm und drückte ihn an sich. »Ja, es ist Zeit für die Bescherung«, sagte sie und warf noch einmal einen Blick auf die Schuppentür. »Schließt die Tür!«, rief sie, als sie Jeremy zum Haus trug.
Ich kann mich an keines der Geschenke an jenem Weihnachtsfest erinnern, weder an eines, das ich bekommen habe, noch an eines, das ich verschenkt habe. Ich verschenkte oder bekam sowieso selten etwas, was man wirklich brauchen konnte. Es war schon nach acht, als alle Geschenke ausgepackt waren und die Kinder wieder im Auto saßen.
Als Jonathan und seine Familie nach Hause gefahren waren, befestigte ich die rote Leine an Christmas’ grünem Halsband und ging mit ihm hinaus. Ich wartete geduldig, bis er sein Geschäft erledigt hatte. Wir beobachteten, wie Todd und Mary Ann zum Schuppen hinuntergingen, um noch einmal nach Ruthie zu sehen. Christmas war ungewöhnlich aufgeregt und unruhig. Er zog an der Leine und winselte, und er bellte sogar ein- oder zweimal zum Wald hinüber, der an den Kill Creek grenzte. Ich vermutete, dass sich auf der nahegelegenen Wiese Rotwild tummelte.
Todd und Mary Ann gesellten sich zu mir und berichteten, dass Ruthie es sich gemütlich gemacht hatte und sich ausruhte. Als wir zum Haus gingen, zog Christmas an der Leine. Er folgte uns nur widerwillig und blieb in der Tür stehen, wandte sich zum Schuppen um und bellte noch einmal. Irgendetwas gefiel ihm nicht.
»Was ist los, Christmas?«, fragte ich. »Ist das Hotel Hilton nicht mehr gut genug für dich?« Offenbar waren wir zu erschöpft, um zu bemerken, dass die Schuppentür offen stand.
NEUN
Spät in der Nacht wurde ich von einem seltsamen Lärm aus dem Tiefschlaf gerissen. Es war nicht Santa Claus, der mit seinem Schlitten auf unserem Dach gelandet war. Es war ein Weihnachtshund, der laut bellte und sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür warf. Todd schrie: »Dad, Dad, mit Christmas stimmt was nicht!«
Hunde können ganz unterschiedlich bellen. Warnend zum Beispiel, oder einschüchternd, aber dieses Bellen war anders. Es war schrill, beinahe panisch und zutiefst besorgt. Ich versuchte, zu mir zu kommen, und als ich genauer lauschte, hörte ich auch Ruthie hysterisch bellen. Irgendjemand oder irgendetwas war im Schuppen, und das konnte nur Schlimmes bedeuten.
Mary Ann und ich warfen uns schnell die Bademäntel über, und ich beschloss, kein Risiko einzugehen. Mein Großvater hatte Recht, es war gut, ein Gewehr im Haus zu haben. Ich wühlte im Schrank herum und fand die alte Flinte, von der ich gehofft hatte, dass ich sie nie brauchen würde. Ich lud sie, nahm noch eine zusätzliche Patrone mit und rannte so schnell die Treppe hinunter, wie meine verschlafenen Glieder und mein steifes Bein es zuließen.
Als ich an die Haustür kam, hatte Todd sie schon geöffnet, und Christmas stürzte schneller hinaus, als ich es je für möglich gehalten hätte. Er jagte in langen Sprüngen über den Hof. Es schien, als würden seine Pfoten gar nicht den Boden berühren. Ich rannte, so schnell ich konnte, hinterher, konnte aber bei Christmas’ Tempo nicht mithalten. »Seid vorsichtig!«, schrie uns Mary Ann hinterher.
Im Schuppen bellte Ruthie inzwischen noch verzweifelter. Dann hörte ich ein wildes Getöse, Knurren und Fauchen. »Todd!«, brüllte ich, »bleib vom Schuppen weg!«
Christmas zögerte keine Sekunde. Als er in den Schuppen stürzte, wurde sein Bellen noch heftiger, dann fing er an zu knurren. Einen Augenblick später vernahm ich ein Geräusch, das ich nur wenige Male in meinem ganzen Leben gehört hatte. Es war eindeutig der Aufruhr von zwei Lebewesen, die einen Kampf auf Leben und Tod führten. Es klang grauenhaft und unerbittlich. Den Geräuschen nach zu urteilen würde es in wenigen Augenblicken in diesem Schuppen keine Überlebenden geben. Würde Todd klug genug sein, sich aus so einem Kampf herauszuhalten? Er hatte den Schuppen noch nicht erreicht. Ich musste etwas tun. Schnell.
Ich hob mein Gewehr und feuerte in die Luft, in der Hoffnung, den Eindringling zu verscheuchen oder zumindest Todd so zu erschrecken, dass er innehalten würde. Das alte Gewehr war ein Ungetüm, und der Schuss dröhnte in meinen Ohren. Ich lud sofort nach. Obwohl ich seit 1969 keine Waffe mehr bedient hatte, wussten meine Hände sofort, was sie zu tun hatten, ohne dass ich nachdenken musste.
Gerade in dem Moment, als Todd die Schuppentür erreichte, die im Wind hin und her
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