Ein Hut voller Sterne
Oma Wehs Knochen genommen hatten.
Der Rest der Hütte war am Tag der Beerdigung verbrannt worden. Kein Schäfer hätte es gewagt, sie zu nutzen, ganz zu schweigen davon, in ihr zu übernachten. In der Vorstellung der Leute war Oma Weh zu groß gewesen, zu schwer zu ersetzen. Tag und Nacht, in allen Jahreszeiten, war sie das Kreideland: seine beste Schäferin, seine klügste Frau und sein Gedächtnis. Das grüne Land schien mit ihr eine Seele zu haben, die in alten Stiefeln und einer Schürze aus Sackleinen umherwanderte, eine stinkende alte Pfeife rauchte und Schafe mit Terpentin behandelte.
Die Schäfer meinten, Oma Weh hätte den Himmel blau geflucht. Die flaumigen kleinen weißen Wolken im Sommer nannten sie »Oma Wehs kleine Lämmer«. Zwar lachten sie, wenn sie darüber sprachen, aber ein Teil von ihnen scherzte nicht.
Kein Schäfer hätte sich erdreistet, in jener Hütte zu wohnen, nicht einer von ihnen.
Also hatten sie den Grasboden geschnitten, Oma Weh in der Kreide beerdigt und dann Wasser auf die Soden gegossen, damit keine Spuren zurückblieben. Und anschließend hatten sie die Hütte verbrannt.
Schafwolle, Fröhlicher-Seemann-Tabak und Terpentin...
... danach hatte die Hütte gerochen, und es war auch Oma Wehs Geruch gewesen. Solche Dinge reichen bis ins Herz der Menschen. Tiffany brauchte es nur zu riechen, um zurückzukehren in die Wärme, Stille und Sicherheit der Hütte. Diesen Ort hatte Tiffany aufgesucht, wenn sie traurig oder auch glücklich gewesen war, und Oma Weh hatte immer gelächelt, Tee gekocht und geschwiegen. Nichts Schlimmes konnte in der Schäferhütte geschehen. Sie war eine Feste gegen die Welt. Selbst jetzt, nach Omas Tod, ging Tiffany gern dorthin.
Sie stand dort, während der Wind übers Gras wehte und in der Ferne Schafglocken boingten.
»Ich muss.« Tiffany räusperte sich. »Ich muss fort. Ich. muss richtige Hexerei lernen, und hier gibt es niemanden, der es mich lehren kann, weißt du. Ich muss. mich so wie du um diese Hügel kümmern. Ich. kann Dinge tun, aber ich weiß nicht darüber Bescheid, und Fräulein Tick meint, was man nicht weiß, kann einen umbringen. Ich möchte so gut werden, wie du es warst. Ich kehre zurück! Ich kehre bald zurück! Ich verspreche, dass ich zurückkehre, fähiger als vorher!«
Ein blauer Schmetterling, von einem Windstoß zur Kursänderung gezwungen, landete auf Tiffanys Schulter, klappte die Flügel zweimal auf und zu und flog dann fort.
Oma Weh war nie sehr redselig gewesen. Sie sammelte die Stille so wie andere Leute Schnüre. Aber mit ihrem Schweigen hatte sie oft alles g esa gt.
Tiffany blieb eine Weile, bis ihre Tränen getrocknet waren, und dann machte sie sich auf den Heimweg, während sich der immer währende Wind um die Räder wand und durch den Rauchabzug des Kanonenofens pfiff. Das Leben ging weiter.
Es war nicht ungewöhnlich für Mädchen in Tiffanys Alter, »auswärts zu arbeiten«. Es bedeutete, irgendwo als Dienstmädchen oder Magd tätig zu werden. Traditionsgemäß begann man damit, einer allein lebenden Alten zu helfen. Diese konnte nicht viel bezahlen, aber da es sich um die erste Stelle handelte, war man vermutlich auch nicht mehr wert.
Die Arbeiten in der Molkerei der heimatlichen Farm erledigte Tiffany praktisch ganz allein, wenn ihr jemand mit den schweren Milchkannen half, und es hatte ihre Eltern überrascht, dass sie in fremde Dienste treten wollte. Aber das machten alle, meinte Tiffany. Man ging ein wenig in die Welt hinaus und lernte andere Menschen kennen. Man wusste nie, wozu das führen konnte.
Mit diesem schlauen Hinweis gewann Tiffany die Zustimmung ihrer Mutter. Deren reiche Tante war fortgegangen, um als Küchenmädchen zu arbeiten, hatte es dann zum Stubenmädchen gebracht und sich ganz nach oben gearbeitet, bis sie schließlich Haushälterin wurde, einen Butler heiratete und in einem prächtigen Haus wohnte. Es war nicht ihr prächtiges Haus, und sie wohnte nur in einem Teil davon, aber sie war praktisch eine feine Dame.
Tiffany wollte keine feine Dame werden. Die ganze Sache war ohnehin nur ein Trick. Und Fräulein Tick war ein Teil davon.
Man durfte kein Geld für Hexerei verlangen, deshalb verrichteten Hexen auch andere Arbeiten. Fräulein Tick war praktisch eine als Lehrerin getarnte Hexe. Sie begleitete die anderen reisenden Lehrer, die in Gruppen von Ort zu Ort zogen und Wissen für Lebensmittel und alte Kleidung feilboten.
Es war eine gute Möglichkeit herumzukommen, denn die Bewohner
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