Ein Iglu für zwei (German Edition)
sein. Unbewusst habe ich mich und meine Erfahrungen auf seine Erlebnisse projiziert. Das war unüberlegt von mir.
Ein Kellner eilt zum Tisch herbei und entschuldigt sich bei mir für das zersprungene Glas. Wie kommt er nur dazu? Als wäre er dafür verantwortlich. Er fragt, ob er ein neues bringen soll. Ich bedanke mich höflich und erkläre ihm, dass ich beabsichtige, ebenfalls zu gehen.
„Schöne Signorina, keine gute Manieren vom Signor Greyeyes. Eine Dame beaandelt man nixe so. In Italien wir tragen unsere Frauen auf Äänden.“
Selbstverständlich tragen die Italiener ihre Frauen genauso wenig auf Händen wie alle anderen Männer, aber die trostspendenden Worte des Kellners entlocken mir ein Lächeln.
Bedrückt trete ich aus der Tür heraus und sehe auf eine menschenleere, dunkle Straße. Mein Auto steht immer noch vor den Toren der Firma Megastar und ich habe kaum eine Ahnung, in welcher Ecke New Yorks ich mich genau befinde. Gern würde ich mir ein Taxi heranwinken, aber es fährt nicht mal ein Fahrrad an mir vorbei. Es weht ein kühler Abendwind. Die Luft riecht feucht. Sicher gibt es noch Regen. Ich verschränke die Arme vor meiner Brust, um mir selbst auf diese Art etwas Wärme zu spenden. Langsam gehe ich voran und schaue nachdenklich zu Boden. Fortwährend denke ich an diesen unvermittelten Abgang von Danny Greyeyes und gehe die Sätze, die wir gesprochen haben, in Gedanken immer wieder durch. Zu gerne würde ich verstehen, was ich falsch gemacht habe.
Auf einmal höre ich schnelle Schritte hinter mir. Ich drehe mich nicht um und drücke meine Tasche fest an mich. Die Dunkelheit und diese verlassene Gegend werden mir bewusst. Erst jetzt erkenne ich, wie hilflos ich in dieser Situation bin und ein vermeintlicher Überfall auf mich ein Leichtes wäre. Auch wenn Einsamkeit auf Grönland mein bester Freund war, so sollte man sich in einer Großstadt wie New York tunlichst davor hüten. Hier ist es angebracht, niemals allein und schon gar nicht als Frau durch einsame Gassen zu schlendern, vor allem nicht in der Nacht. Vor mir kann ich eine gut ausgeleuchtete Kreuzung ausmachen. Eine Hauptstraße. Viele Autos. Die Schritte hinter mir nähern sich. Ich steigere mein Tempo. In der Ferne sehe ich ein paar Menschen. Gleich hab ich’s geschafft. Doch eine Hand greift auf meine Schulter und hindert mich an meiner Flucht.
„Nein!!!“, schreie ich angsterfüllt und schlage mit meiner Handtasche um mich, während ich mich umdrehe.
Eine dunkle männliche Gestalt versucht, erneut nach mir zu greifen. Treffsicher versetze ich ihr ein paar Hiebe mit meiner Tasche. Als sie sich duckt, hoffe ich auf meine Chance zu entkommen.
„Hör doch auf damit!“, ruft mir die Gestalt entgegen. Ich denke nicht daran und versuche, meinen Schlägen etwas mehr Effet zu geben. Doch nun greift die Gestalt kraftvoller nach mir und drückt mich gegen die Häuserwand.
„Verdammt noch mal, hör endlich damit auf!“, schreit mich eine Stimme an, die mir bekannt vorkommt. Ich stelle meine Kampfhandlungen ein und erkenne im düsteren Schein der Straßenlaterne Danny Greyeyes’ Gesicht. Völlig außer Atem von unserem Gefecht stehen wir uns gegenüber. Ich versuche, in seinen Augen den Grund seines Wiedererscheinens zu finden, aber es ist zu dunkel.
„Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe“, durchbricht Danny plötzlich die Stille. Von Erschrecken kann keine Rede sein, ich war in Todesangst.
„Schon gut“, antworte ich, als wäre alles halb so wild gewesen.
„Wirklich?“
Ich nicke.
Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Ich weiß nicht genau, ob die Nähe zu Danny Greyeyes dies verursacht oder die kalte Luft an diesem Abend, die mir durch Mark und Bein geht. Zähneklappernd stehe ich da, immer noch von Danny gegen die Wand gedrückt.
„Jetzt erkenne ich dich wieder“, bemerkt er verblüfft.
Ja, ich bin das neunzehnjährige Mädel, das eben noch mit dir in diesem noblen, aber warmen Lokal saß. Könnte ich jetzt bitte nach Hause gehen?
„Wie schön, dass du mich nach so kurzer Zeit noch wiedererkannt hast. Das passiert mir nicht oft“, spotte ich.
Danny lacht und sein Haar stößt dabei im Takt auf seinen Schultern auf und ab.
„Du bist mit mir auf der Treppe zusammengestoßen. Das warst du.“
Sein Blick dringt tief in meine Augen ein.
„Da muss ich dir erneut im Dunkeln begegnen, um dich wiederzuerkennen. Welch Ironie.“
Er muss aus Nordgrönland stammen. Da lernt man bereits im Kindesalter,
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