Ein Iglu für zwei (German Edition)
zu blind wäre, sein Spiel zu durchschauen? Für wie dumm hält er mich?
Meine Eltern sammeln mich an dem kleinen Flughafen der Provinz ein, auf dem nicht öfter als drei- bis viermal die Woche eine Maschine landet. Überglücklich falle ich beiden in die Arme. Endlich zu Hause! Mit dem Jeep fahren wir noch gute vier Stunden über Land, bevor wir endlich den abgeschiedenen Ort erreichen, der so lange meine Heimat war. Da sind sie! Etwa vierzig Holzhäuser in knalligen Farben, die in dieser weiten Landschaft verloren wirken. Eine Kirche, ein Kaufmannsladen und eine Miniaturschule erwecken den Anschein von Normalität. Aber das raue Leben in dieser Eiswüste strotzt nur so von Andersartigkeit.
Unser Haus ist das Vorletzte in der zweiten Reihe. Keine hundert Meter vom Fuß des Fjords entfernt. Als der Wagen vor dem Haus zum Stehen kommt und der Motor verstummt, höre ich sie. Diese unglaubliche Stille. Eine leichte Brise weht mir durchs Haar. Sonst nichts. Nur sanfte Stille und klare Luft.
Eine orangefarbene Sonne, die gerade den Rand des Horizonts streift, wärmt sachte mein Gesicht. Es ist Sommer und farbenreiche Blumen blühen zwischen dem Gras, die höchstens ein paar wenige Wochen aus dem Boden brechen. Der Sommer ist kurz und kühl, aber dafür kraftvoll.
„Hallo, Schwesterchen!“, vernehme ich die Stimme meines Bruders aus der Ferne.
Namid? Er ist hier? Warum hat mir keiner was gesagt? Vorwurfsvoll schaue ich meine Eltern an. Doch sie lächeln mich nur an und verschwinden mit meinem Koffer im Haus.
„Namid, was machst du hier?“
„Aber, Schwesterchen, wahrscheinlich das Gleiche wie du. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken.“
„Duu? Worüber hast du schon groß nachzudenken?“, gebe ich boshaft von mir. „Ist dir eigentlich klar, was du angerichtet hast? In all den Jahren habe ich niemals an dir gezweifelt. Aber jetzt könnte ich dir für dein Verhalten an die Gurgel springen!“
Gut, mein Ton müsste nicht gleich so abgleiten. Aber Namid verkörpert für mich in diesem Moment alle charakterlosen Männer dieser Welt. Wie praktisch, wenn man seine ganze Enttäuschung in eine einzige Person projizieren kann.
„Sage mal, wovon redest du eigentlich?“ wirft Namid fragend ein.
Eine Antwort muss ich ihm vorerst schuldig bleiben, da meine Mutter uns ins Haus winkt. Mühsam schlucke ich meine Wut über ihn vorerst herunter. Es ist nicht meine Absicht, vor den Augen meiner Eltern, die ich so lange nicht gesehen habe, mit Namid zu streiten. Ich werde meinen Kampf mit ihm später unter vier Augen ausfechten.
Bald sitzen wir gemeinsam an dem großen Tisch, der das Zimmer vollständig ausfüllt. Ich sitze auf meinem Stammplatz, den ich seit meiner Kindheit für mich beanspruche. Von hier aus hat man den besten Blick in die offene Küche, in der ich meine Mutter so oft beim Kochen beobachtet habe. Zum Abendessen gibt es konserviertes Brot und quietschgelben Käse aus Dänemark. Appetitlos greife ich lieber nach einem Apfel.
„So, Schwesterchen, nun erzähl doch mal, was an der Geschichte mit diesem Danny Greyeyes dran ist. Du bist also bei ihm eingezogen.“
Was soll das jetzt? Ist das ein Verhör? Ich hatte eigentlich nicht vor, mit irgendwem über mich zu sprechen. Nicht mal hier habe ich meine Ruhe!
Alle starren auf mich. Meine Mutter bekommt diesen neugierigen Blick, den ich von ihr geerbt habe. Daher erkenne ich ihn sofort.
„Hast du einen neuen Freund?“, fragt sie interessiert. „Warum hast du uns gar nichts von ihm erzählt?“
Mein Unmut über Namid wächst weiter an. Will er mich an den Pranger stellen, um seine eigenen Entgleisungen zu verschleiern?
„Weil es nichts zu erzählen gibt, Mum. Es war eine rein geschäftliche Beziehung. Mehr nicht. Er wollte, dass ich ein Buch über ihn schreibe und das habe ich nun getan. Punkt!“
So, können wir jetzt das Thema wechseln?
„Da hat mir deine Freundin Lucy aber etwas anderes erzählt. Warum gibst du nicht zu, dass ihr ein Paar seid? Es steht ja auch in allen Zeitungen.“
Man merkt, dass er schon seit einigen Wochen in der Abgeschiedenheit lebt. Sonst wären ihm die letzten Zeitungsmeldungen bekannt.
„Du hast doch überhaupt keine Ahnung! Was Lucy dir erzählt hat, ist längst Geschichte. Wärst du nicht aus New York geflüchtet, dann hättest du es in irgendeinem Käseblatt nachlesen können.“
Meine Eltern sitzen verstummt nebeneinander am Tisch und schauen abwechselnd zwischen Namid und mir hin und her. Ein Tennismatch wäre
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