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Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)

Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)

Titel: Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Nohl
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euer
Badezimmer benutzen?“
    Emily nickte und sagte: „Übrigens, guten Morgen, Mama. Das
war wirklich eine Überraschung gestern.“
    Ihre Mutter nickte nur knapp und wandte sich dem Badezimmer
zu. Emily sah, wie langsam und vorsichtig sie lief und wie hölzern ihre
Bewegungen geworden waren. Es musste eine fast übermenschliche Anstrengung
gewesen sein, alleine mit dem Zug hierherzukommen.
    Dann saßen sich Mutter und Tochter gegenüber und Emily
wusste nicht, wie sie anfangen sollte, da ihre Mutter nur trübselig in ihrem
Kaffee rumrührte, obwohl sie weder Milch noch Zucker hineingegeben hatte. Emily
legte die Hand auf den Unterarm ihrer Mutter und nahm wahr, wie viele
Altersflecken sich inzwischen auf dem Handrücken ihrer Mutter versammelt
hatten.
    „Mama, was ist los?“, fragte sie behutsam. „Ich habe mir ja
immer gewünscht, dass ihr mich hier besucht, aber irgendetwas stimmt doch
nicht.“
    Ihre Mutter begann leise zu weinen, für ein lautes Schluchzen
schien ihr die Kraft zu fehlen. Emily reichte ihr ein Stück Papier von der
Küchenrolle. Sie schnäuzte sich laut und setzte endlich an zu sprechen. Ihre
Stimme klang blechern und rau, eingerostet wie eine alte Gießkanne.
    „Ich habe deinen Vater verlassen.“ Emily merkte, wie ihr
Herz kurz aussetzte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihre Mutter an.
    „Was hast du?“, fragte sie ihrerseits mit belegter Stimme.
    „Es ging nicht mehr. Er hat mich erstickt. Und an einem Tod
durch Ersticken will ich doch nicht sterben“, sagte sie und brachte sogar ein
windschiefes Lächeln zustande. „Du hast ja mitbekommen, wie er alles für mich
aufgegeben hat, als meine Krankheit schlimmer wurde. Dann hat er seine ganze
Energie, die er ja sonst auf seine Patienten verteilt hat, auf mich
konzentriert. Ich hatte keine Minute mehr für mich. Immer war er um mich,
redete auf mich ein, ich müsse mich schonen, und nahm mir jeden Handgriff ab.
Ich kam mir total nutzlos vor!“ Sie stützte den Kopf in die Hände und die
Tränen tropften auf ihren leeren Teller und bildeten dort eine kleine Pfütze.
    Emily spürte wieder diese Schwere vom vergangenen Abend.
Sicher, sie hatte mitbekommen, dass es zwischen ihren Eltern nicht gerade gut
stand. Aber anscheinend hatte sie sich nicht genug Mühe gegeben, wirklich
hinter die Kulissen zu schauen.
    Ihre Mutter zog die Nase hoch, etwas, was sie früher nie
getan hätte, schon gar nicht am Tisch. „Ich musste ständig dankbar sein, obwohl
ich doch vieles von dem, was er tat, noch hätte selbst machen können. Bei mir
wäre es vielleicht langsamer gegangen, aber dafür wäre es dann wenigstens
ordentlich gemacht gewesen.“
    Emily lächelte ein wenig, als sie sich ihren Vater in der
Küche oder beim Staubwischen vorstellte. Natürlich hatte er es ihrer Mutter
nicht recht machen können.
    „Dann hat er angefangen, mich immer früher ins Bett zu
stecken. Ich weiß auch nicht genau warum. Vielleicht war das sein Bedürfnis,
mich in Watte zu packen. Ich habe brav mitgespielt, weil ich wusste, ich bin
auf ihn angewiesen. Aber Emily, ich wurde so zornig und hätte platzen können,
weil er mich behandelte wie ein Kind. Mich, die ich ihm das ganze Leben den
Rücken freigehalten habe.“ Und sie schlug mit der Faust auf den Tisch, um sich
gleich mit schmerzverzerrtem Gesicht mit der anderen Hand das Handgelenk zu
reiben.
    Emily schaute besorgt,
aber ihre Mutter fuhr fort: „Ich habe dann lieber gar nichts mehr gesagt, als
dass ich ihm all das an den Kopf geworfen hätte. Er hat es ja nur gut gemeint,
du weißt, dein Vater ist kein schlechter Mensch.“ Emily nickte. „Aber
schließlich hat er mich nur noch einige Stunden am Morgen aus dem Bett
gelassen. Ich wurde immer schwächer, die Muskeln bilden sich ja immer mehr
zurück. Dann wurde mir klar, ich musste etwas unternehmen, bevor ich zu schwach
dazu bin. Ich habe ihn gestern Morgen ziemlich früh in die Apotheke geschickt.
Am Tag zuvor hatte ich schon heimlich ein paar Sachen gepackt. Dann habe ich
mir ein Taxi gerufen und mich zum Bahnhof fahren lassen. Zum Glück ging eine
Stunde später ein Zug zu dir und ich musste nur einmal umsteigen, da hat mir
ein freundlicher Herr Gott sei Dank die Reisetasche getragen. Dann habe ich mir
vom Bahnhof wieder ein Taxi genommen. Und nun bin ich hier.“ Diesmal nahm sie
Emilys Hand und schaute ihr in die Augen.
    „Emi, ich weiß, dass ich in letzter Zeit keine besonders
nette Mutter war, aber du warst der einzige Mensch, der mir

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