Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
eingefallen ist, zu
dem ich konnte.“
Emily stand auf und umarmte ihre Mutter vorsichtig. „Es ist
gut, dass du gekommen bist.“ Dabei dachte sie voll schlechten Gewissens, aber
ich muss dich bald woanders unterbringen, sonst ersticke ich.
Ihre Mutter griff nach diesem langen Geständnis zu einem
Brötchen und begann ganz langsam ihre neue Freiheit zu genießen. „Weißt du,
dass mich dein Vater wie eine Diabetikerin ernährt hat, obwohl es wirklich
keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Osteoporose und Diabetes gibt? Diese
Marmelade riecht lecker.“
„Sag mal, hast du Papa eine Nachricht hinterlassen, wo du
bist?“ Erschrocken zuckte ihre Mutter zusammen und schüttelte den Kopf. „Aber
er darf wissen, dass du hier bist?“
„Ich denke schon. Vielleicht gehe ich ja auch zu ihm zurück,
wenn er sich wieder wie ein normaler Mensch verhält“, überlegte sie laut.
„Mensch Mama, du bist jetzt mehr als vierundzwanzig Stunden
weg. Er wird sich Sorgen ohne Ende machen.“ Sie stürzte in ihr Zimmer und holte
ihr Handy. Das hielt sie ihrer Mutter unter die Nase. „Ruf ihn an.“
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Kannst du ihn bitte
anrufen, ich trau mich nicht so recht.“ Wie ein kleines Kind zog sie den Kopf
zwischen die Schultern, als erwartete sie, ausgeschimpft zu werden.
„Also gut.“ Sie wählte die Nummer ihrer Eltern. Direkt nach
dem ersten Klingeln hörte sie die Stimme ihres Vaters, die heute ganz leise und
schwach klang.
„Neumann. Haben Sie Neuigkeiten?“
„Ich bin’s Papa.“
„Ach, Emily, ich dachte, es sei die Polizei.“ Er schwieg,
wie um Kraft zu sammeln. „Leider ist deine Mutter abhandengekommen. Wir haben
nicht die kleinste Spur von ihr, ich mache mir solche Sorgen! Sie kann doch gar
nicht weit gekommen sein, schließlich kann sie kaum noch laufen.“
Tja, denkste Papa, was sie alles noch kann, wenn sie will,
dachte Emily. Laut sagte sie aber: „Ja, deswegen rufe ich auch an. Stell dir
vor, sie sitzt quicklebendig hier bei mir und isst ein Marmeladebrötchen.“
Stille. Sie hörte regelrecht, wie es im Gehirn ihres Vaters
ratterte. „Wie ist sie denn zu dir gekommen?“
„Nun, sie hat den Zug genommen.“ Emily freute sich ein
bisschen über ihren Spontanreim, auch wenn ihr insgesamt wenig zum Lachen
zumute war, außer vielleicht vor Verzweiflung über ihre Eltern.
„Kann ich sie sprechen?“ Seine Stimme wurde langsam wieder
kräftiger, als er seine Frau in Sicherheit wusste.
Emily sagte: „Mama, hier ist Papa für dich am Telefon.“ Ihre
Mutter blickte sie panisch an, aber Emily drückte ihr das Telefon in die Hand
und ging aus der Küche. Sollten die beiden sich doch aussprechen. Sie warf sich
auf ihr Bett und raufte sich die Haare. Das hatte ihr jetzt gerade noch
gefehlt, dass ihre Mutter bei ihr einziehen wollte. So leid sie ihr tat, sie
hatte das Gefühl, schon genug eigene Probleme zu haben, als dass sie gerne noch
eins schultern wollte.
Sie sah auf die Uhr. Verflixt, sie musste in einer
Viertelstunde im Altenheim sein. Sie raffte ihre Siebensachen zusammen, schaute
in der Küche bei ihrer verweinten Mutter vorbei, die immer noch telefonierte.
„Kann ich dich kurz unterbrechen? Mama, ich muss arbeiten, ich bin um halb vier
zurück, dann können wir weiterreden. Kommst du bis dahin zurecht?“ Ihre Mutter
nickte. „Grüße an Papa“. Sie rannte die Treppe hinunter, froh, der seltsamen
Situation fürs Erste entronnen zu sein.
Es war ein anstrengender
Arbeitstag gewesen, an dem sie einen Konflikt mit Oberwachtmeister Dimpfelmoser
alias Ole Hicks hatte, der nicht bereit war, seine räubermäßig stinkenden
Klamotten zu wechseln, weil er meinte, sie würden zur DNA-Probenentnahme
entwendet werden. Emily stieg erschöpft die Treppe zur Wohnung hoch. Den ganzen
Tag hatte sie erfolgreich verdrängt, dass ihre Mutter in ihrem Zimmer saß. Was
sie wohl alles inspizieren würde, wenn ihr langweilig war? Emily klingelte
höflich, damit ihre Mutter keinen Schrecken bekam. Sie hörte ein Rumoren in der
Küche und schloss auf. In der Küche hatte ihre Mutter fein säuberlich den
Inhalt der Schränke auf den Arbeitsplatten gestapelt und war gerade dabei, die
Küchenschränke auszuwischen. Dabei pfiff sie fröhlich vor sich hin und
balancierte auf einem der wackligen Küchenstühle. Emily war zwar nicht so
besorgt wie ihr Vater, aber ihr wurde Angst und Bange als sie sich vorstellte,
wie die Knochen ihrer Mutter zerbröseln würden, wenn sie jetzt vom
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