Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Stadt befand und nicht so recht wusste, was sie hier wollte.
Trotzig dreht sie sich noch einmal um und starrte die Tapete mit dem
geschwungenen Rankenmuster an. Es gab keinen Grund aufzustehen und die Geborgenheit
des Bettes zu verlassen. Sie würde einfach hier liegenbleiben, wieder
einschlafen und in eine Traumwelt eintauchen, in der es keine bösartigen
Krankheiten gab. Schon wieder begannen die Tränen mit leichtem Ploppen auf das
Kissen zu tropfen. Es war gut, nichts tun zu müssen, und tatsächlich döste sie
noch einmal ein.
Emily straffte sich, um nicht zu weinen. „Ich kenne da eine
nette Pension, die von einer freundlichen Dame geführt wird, die viele gute
Tipps für verliebte Touristen hat.“ Jetzt zwinkerte Emily ihrer Mutter
übertrieben zu. „Ich rufe da mal schnell an, ob sie noch ein Zimmer für euch
beide hat.“
Ihre Mutter nickte dankbar. „Ist es weit zu laufen?“
„Nein, ich denke, das könnten wir schaffen. Dann könnten wir
Papa gleich die Adresse von dort geben, und wenn ihr euch wieder ein wenig
beschnuppert habt, könnte ich euch heute Abend zum Essen ausführen. Wie findest
du das?“
„Ich glaube, das ist ein guter Plan. Dann können wir immer
noch schauen, ob wir noch ein paar Tage bleiben, wenn wir jetzt schon hier
sind, nicht?“
Nachdem Emily ein Zimmer reserviert und der Pensionswirtin
erklärt hatte, dass sie letztes Jahr auch schon bei ihr übernachtet hatte,
flüchtete sie kurz auf die Toilette, um in Ruhe nachzudenken. Es wäre die
optimale Gelegenheit, ihnen Josue vorzustellen. Ob er so flexibel wäre, heute
oder morgen Abend dabei zu sein? Immerhin sind es meine Eltern und er sollte
doch interessiert an ihnen sein, wenn er ihre Tochter liebt, dachte sie. Sie
hätte gerne Josues Mutter kennengelernt, wenn sie nur nicht so weit weg leben
würde. Und wenn ihre Eltern jetzt wieder einigermaßen normal miteinander
umgingen, dann mussten sie ihr auch nicht mehr peinlich sein. Nach außen hin
wirkten sie doch meist sehr zivilisiert und umgänglich. Die persönlichen Probleme,
die sie miteinander hatten, waren für Außenstehende vermutlich kaum
wahrzunehmen. Sie war so froh, dass sie den Einfall mit der Pension gehabt
hatte. Auf diese Distanz würde sie die Anwesenheit ihrer Eltern viel besser
verkraften, als wenn beide auf einem Matratzenlager in ihrem Zimmer schliefen.
Hilfe, welche Vorstellung! Sie zog die Spülung und schnupperte. Nein, die
Spaghetti! Schnell wusch sie sich die Hände und stürzte in die Küche. Doch ihre
Mutter hatte den qualmenden Topf schon von der Platte gezogen.
„Kind, ich habe dir doch immer gesagt, du sollst den Herd
zum Aufwärmen nicht auf drei stellen!“
Emily schnappte den Topf und trug ihn schnell vor die
Haustür zu den Mülltonnen, die noch zur Abholung bereit standen, bevor die
ganze Wohnung verqualmt wäre.
Als sie wieder oben war, sagte sie: „Tut mir leid, Mutter,
ich hätte sie wirklich gerne gegessen. Hast du wenigstens vorhin eine Portion
gehabt?“
Ihre Mutter nickte.
„Ich weiß, manchmal bin ich keine besonders gute
Gastgeberin, aber schließlich wusste ich ja auch nicht, dass du kommen
würdest.“
„Aber jetzt erzähl doch endlich ein wenig von dir“, bat ihre
Mutter und setzte sich etwas bequemer zurecht.
„Tja, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich kann
immerhin sagen, dass ich mich gut eingelebt habe und in Heidelberg pudelwohl
fühle. Das Studium macht mir Spaß, auch wenn ich am Anfang nicht allzu viel
verstanden habe und manche der jungen Studentinnen mir ziemlich auf die Nerven
gehen mit ihrem Strebergehabe.“
Ihre Mutter nickte verständnisvoll, als könne sie genau
nachvollziehen, was Emily meinte.
Emily konnte sich nicht erinnern, wann ihre Mutter ihr
zuletzt so aufmerksam zugehört hatte. Sie war ganz gerührt. „Und es gibt noch
eine Neuigkeit“, beschloss sie mit der Tür ins Haus zu fallen, „ich habe einen
Freund.“
Die Augen ihrer Mutter öffneten sich mindestens doppelt so
weit, als müsste sie die Information auch über diesen Sinneskanal aufsaugen.
„Er ist etwas älter als ich und Witwer. Außerdem hat er zwei
Kinder, die sind vier und sieben Jahre alt, ein Junge und ein Mädchen.“ So,
jetzt war die Bombe geplatzt.
Ihre Mutter hatte nicht mal mit der Wimper gezuckt. „Der
arme Mann. Was ist denn mit seiner Frau geschehen?“
„Es war ein Autounfall“, sagte Emily knapp.
Ihre Mutter nickte immer wieder mit dem Kopf. „Na ja, wenn
du dir das gut überlegt hast.
Weitere Kostenlose Bücher