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Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)

Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)

Titel: Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Nohl
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cm groß, Gewicht unbestimmt, ultraglatte Haare,
Sommersprossen und eine Zahnlücke von mindestens zwei Millimetern zwischen den
Schneidezähnen, nicht zu vergessen Beruf Optikerin. Sie musste über sich selbst
lächeln. Seit sie Kind war, ertappte sie sich immer wieder bei Phantasien, in
denen sie etwas Besonderes war, weil sie zum Beispiel jemand gerettet hatte.
Nun, jetzt würde sie Heidelberg retten. Nur, dass es so zufrieden in der
Herbstsonne lag und gar nicht den Anschein machte, als müsse es gerettet
werden.
    Das Schiff passierte die Schleuse und wurde so sanft
angehoben, dass sie es kaum wahrnahm, hätte sie nicht den Hub an den moosigen
Wänden verfolgen können. Als die Fahrt weiterging und ihr Auge der Böschung der
Neckarwindungen folgte, merkte sie, wie mit jeder Schiffsmeile ein Säckchen
Anspannung von ihr abfiel, bis sie einfach nur ins Wasser schaute und sich
treiben ließ.
     
    Als ein Jogger an ihr vorbeipolterte und das Gitter, auf dem
sie stand, zum Beben brachte, wurde Emily aus ihren Erinnerungen gerissen und
lief weiter über das Wehr. Auf der anderen Seite angekommen konnte sie sich gar
nicht entscheiden, welche Villa sie genommen hätte, am Michelsberg war eine
interessanter als die andere. Vor einer Villa mit starken Jugendstileinschlägen
und einem verwilderten Rosengarten blieb sie stehen. Hier musste es sein. Sie
betätigte einen alten Türklopfer, der ihr die Zähne entgegenfletschte und sie
nahm ihre klopfende Halsader wahr. Clara öffnete, umarmte sie und bat sie
einzutreten. In der Mitte der großen Vorhalle musste sich Emily erst einmal um
ihre Achse drehen. Ein großer Treppenaufgang mit poliertem Holzgeländer führte
in den ersten Stock. Alles war in Weiß gehalten. Ein großer Rosenstrauß
schmückte ein kleines Tischchen am Treppenaufgang und es gab einige
großformatige Bilder mit abstrakten Motiven.
    „Hat die Bilder jemand aus deiner Familie gemalt?“, fragte
sie vorsichtig.
    „Die sind von mir, aber schon ziemlich alt. Du wirst sicher
noch mehr davon entdecken.“
    „Sie sind so kraftvoll“, erwiderte Emily aufrichtig
beeindruckt. Clara führte sie in eine Art Salon mit Blick auf das Schloss.
Claras Großmutter erhob sich zur Begrüßung. Sie war ebenfalls von stattlicher
Statur, wenn auch ihr Rücken schon ein wenig gebeugt war. Mit kräftigem
Händedruck schüttelte sie Emily die Hand.
    „Herzlich willkommen, ich bin Monika Finkelstein, das ist
aber schön, dass ich Claras neue Studienfreundin kennenlerne.“ Emily merkte,
dass sie vor Freude rot wurde, als sie das Wort Freundin hörte. Am anderen Ende
des Salons saß der Mann, mit dem sie Clara einmal in der Mensa gesehen hatte.
Sie wusste, dass er Ruben hieß und zumindest immer wieder ihr Freund war, heute
schien er es zu sein, denn er trat neben Clara, legte ihr den Arm um die
Schultern und gab Emily ebenfalls die Hand.
    „Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Warum siezte er sie? Sie
musterte ihn. Er hatte einen gepflegten Fünftagebart, stand betont leger mit
Spielbein und Standbein und schien sich gerne in Szene zu setzen. „Darf ich
Ihnen einen Aperitif anbieten“, fragte er, als wäre er der Hausherr.
    „Ja, gerne“, entgegnete Emily, während sie an den Fransen
ihrer dünnen Weste spielte.
    Clara rollte die Augen. „Würdet ihr euch bitte duzen, Ruben,
was war denn das?“ Er wandte sich abrupt ab und machte sich an der
Sherryflasche zu schaffen.
    „Ruben ist
Astrophysiker, auch ein in Heidelberg Gestrandeter. Er promoviert gerade und
immer, wenn er dabei steckenbleibt, ist er nicht so gut zu haben“, erzählte sie
unbekümmert, während Ruben mit den Zähnen knirschte. Oh je, so spannungsreich
hatte sich Emily den Aufenthalt hier nicht vorstellt. Aber gleichzeitig war es
auch beruhigend, dass selbst die herrlichste Umgebung einen nicht davon abhielt
zu streiten, also konnte sie ihren Neid gleich wieder einpacken. Ruben
überreichte ihr mit einem formvollendeten Diener das Glas und alle prosteten
sich zu: „Auf einen schönen Abend.“ Kurz danach verabschiedete sich Ruben, der
wieder zurück ins Institut musste. „Die Sterne warten“, äußerte er lapidar als
Begründung. Nun, die warten auch noch ein paar Jährchen, dachte Emily und
beobachtete, wie Clara hin- und hergerissen schien zwischen Bedauern und echter
Erleichterung.
    Claras Großmutter seufzte, als er die Tür hinter sich
geschlossen hatte. „Kindchen, du machst es dir nicht leicht“.
    „Ich weiß Großmama, aber es ist mein Leben,

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