Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
gestorben, tja, beim Marmeladekochen. Aber so einen Tod hätte
sie sich gewünscht, dachte Emily. Nur wurde sie immer noch traurig, weil sie
das Gefühl hatte, dass sich seitdem ihr Verhältnis zu ihren Eltern
verschlechtert hatte. Spätestens morgen musste sie ihre Eltern dringend
anrufen.
Nach dem Kaffeetrinken stiegen sie in die Dachmansarde, die
Clara bewohnte. Hier herrschte gemütliches Durcheinander. Auf einer Staffelei
stand ein angefangenes Bild eines jungen Manns, der stolz aus der Leinwand
blickte. Seine Füße schienen in der Luft zu schweben, aber sie waren vermutlich
noch nicht fertig.
„Ist das Ruben?“, fragte Emily vorsichtig.
„Nein, Ruben würde sich niemals von mir malen lassen“,
entgegnete Clara verschlossen und Emily entschied, dieses Thema heute bestimmt
nicht mehr zu berühren.
„Erzähl du mir lieber noch ein bisschen von demjenigen
Welchen, wenn du magst?“ Emily freute sich, über das sprechen zu können, was
sie schon die ganze Zeit beschäftigte.
„Ich habe ihn auf dem Friedhof gesehen – und da war es um
mich geschehen. Später habe ich dann per Zufall herausgefunden, dass er Cellist
ist hier bei den Heidelberger Philharmonikern. Letzte Woche war ich sogar in
einem Konzert, obwohl ich nicht sagen kann, dass mich Edward Elgar begeistert.
Aber was tut man nicht alles aus Verliebtheit?“
„Und, wann willst du dich ihm vorstellen?“
„Ich dachte, ich schreibe vielleicht einen Brief. Die
Adresse habe ich schon herausgefunden.“
„Oh ja.“ Clara war ganz begeistert. „Ich liebe Liebesbriefe,
wollen wir gleich anfangen?“
Emily zögerte. „Ich glaube, das ist mir zu intim, ich muss
das selbst machen, auch wenn ich keine tolle Briefeschreiberin bin. Aber
vielleicht kann ich nochmal auf dich zukommen, wenn ich steckenbleibe?“
„Ja, mach das“, sagte Clara, zum Glück gar nicht beleidigt.
„Schreibst du gerne?“
„Manchmal versuche ich mich an einem Gedicht, ja“.
Emily war beeindruckt. „Ich habe zufällig das Grab von Hilde
Domin entdeckt.“
„Ich kannte sie gut, weißt du. Sie war eine Freundin meiner
Oma.“
„Wow, ich bin beeindruckt. Ich verstehe nicht viel von
Gedichten, aber sie hat es immer wieder geschafft, dass ich dachte, ja, so ist
es und nicht anders, so als könnte sie hinter die Dinge sehen oder in ihren
Kern hinein.“
Clara nickte versonnen. „Sie hat auch kein leichtes Leben
gehabt und musste oft ihre Wünsche hinter denen ihres Mannes zurückstellen.
Vielleicht braucht es eine Portion Leiden, um weise zu werden? Apropos, wollen
wir wieder runter zu meiner Oma gehen. Ich denke, in einer halben Stunde geht’s
los.“
„Ich bin ja schon so gespannt, ich kann mir das gar nicht so
richtig vorstellen, was so eine Schlossbeleuchtung ist.“
Gemütlich in eine
Wolldecke gekuschelt mit einem Glas kräftigem Rotwein in der Hand kam sie aus
dem „Ah-“ und „Oh-“-Rufen nicht mehr heraus. Wie aus einer anderen Welt
wirkte das Schloss, als es auf magische Weise von innen zu glühen begann. Und
zum kunstvollen Feuerwerk auf der alten Brücke stellte sie sich die
Orchesterbegleitung vor und wünschte sich so sehr, sie könnte diesen Moment mit
ihm, Josue, teilen. Während die letzten Lichterfontänen ihre Funken von der
Brücke regneten, bedankte sie sich mit einer Umarmung bei Clara und ihrer
Großmutter. Auf dem Weg zurück über das Wehr hatte sie das Gefühl zu schweben.
Emily duckte sich hinter
einem korpulenten Studenten. Sie spähte vorsichtig um dessen breite Schultern.
War er weg? Sie hatte genau gesehen, wie er sich suchend umsah, denn das war
die Zeit, in der sie üblicherweise nach der Vorlesung Mittagessen ging. In der
Vorlesung hatte sie sich ganz nach hinten gesetzt, so dass sie hinter den
anderen verschwinden konnte. Sie hatte einfach keine Lust auf eine Begegnung
mit Gabriel. Vermutlich würde er fragen, ob ihr die Blumen gefallen haben oder
so. Die letzten zwei Wochen war er eigenartigerweise nicht in der Vorlesung
gewesen, sie hatte sich schon fast Sorgen gemacht. Sie wollte ihn auch nicht
verletzen, aber sie konnte sich einfach nicht vorstellen, sich für ihn als Mann
zu erwärmen. Selbst wenn man sich gut mit ihm unterhalten konnte, ein wenig
Sexappeal brauchte sie wohl schon und diesbezüglich wirkte Gabriel auf sie wie
kalte Füße im Sommer.
Da, nun hatte er sich mit seinem Tablett gesetzt. Sie nahm
ihr Tablett wieder auf und entfernte sich einige Reihen in die entgegengesetzte
Richtung, bevor sie
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