Ein Jahr in Andalusien
langsam
heranrollen. „Was wirst du machen, wenn der Filmdreh vorbei ist?“, fragt mich Jaimeunvermittelt. Einen Moment lang sage ich
nichts. Umständlich formuliere ich dann: „Ich glaube, ich will versuchen, erst einmal in Andalusien zu bleiben.“ Mehr zu mir selbst als zu ihm sage ich
dann noch: „Es gibt hier an der Küste zwei deutschsprachige Zeitungen, vielleicht könnte ich dort mitarbeiten. Außerdem werden hier eine Menge Filme
gedreht. Vielleicht könnte ich da als Produktionsassistentin arbeiten.“ Jaime strahlt.
An mir zieht ein endloses Häusermeer vorbei. Hochhäuser, Bettenburgen, uniforme Einfamilienhäuser. Die einzigen grünen Oasen zwischen
den Betonklötzen sind die kurz geschorenen Rasen der Golfplätze. „Als ich klein war, sah das alles noch ganz anderes aus“, sagt Jaime, der meinen
entsetzten Gesichtsausdruck gesehen hat. Ich hatte ihn gebeten, mir Marbella zu zeigen, die einstige Jetsetmetropole, wo Gunter Sachs, Brigitte Bardot,
Audrey Hepburn und Mel Ferrer ihren Urlaub verbrachten und Antonio Banderas und der König von Saudi-Arabien heute noch Villen unterhalten. Doch die
heutige Realität der Costa del Sol ist eine andere. „Der Tourismus ist der Goldesel, der die ganze Region versorgen soll. Zuerst waren es die
All-inclusive-Hotels. Jetzt hat die Branche den Golftourismus für sich entdeckt. Die Provinz Málaga hat die höchste Golfplatzdichte weltweit. Es gibt
vierzig Plätze auf siebentausend Quadratkilometern“, sagt Jaime. Hinter der Scheibe scheint die Betonwüste immer größer zu werden, dazwischen ragen
Baukräne in die Höhe. „Aber die Altstadt von Marbella ist wirklich schön“, tröstet er mich.
Tatsächlich ist das historische Zentrum der Stadt perfekt erhalten, kein einziger Neubau hat sich in die engen Gassen geschlichen, die alten Häuser
sind wunderschön renoviert. Dass auch diese Idylle nur dem Tourismus zuliebe geblieben ist, ahne ich beim Blick in die Schaufenster der Altstadt. Eswerden Souvenirs feilgeboten, überall gibt es Restaurants, Eisdielen und Kneipen, nicht wenige tragen ausländische Namen. „Ja, auch
hier ist alles für die Guiris“, sagt Jaime. „Marbella hat auf den Luxustourismus gesetzt. Es gibt sieben Fünfsternehotels, viele Reiche aus der ganzen
Welt haben sich eine Villa in einer der Urbanisationen gekauft, die hier wuchern. Bei so viel Geld mussten die Politiker ja korrupt werden“, sagt
Jaime. „Vor ein paar Jahren hat die Polizei fast die gesamte Rathausmannschaft abgeführt. Sie hatten für die Vergabe von illegalen Baulizenzen riesige
Bestechungsgelder kassiert. Juan Antonio Roca, der Drahtzieher des Korruptionsskandals, hatte sich auch noch als urbanistischer Berater von der Stadt
fünfstellige Monatsgehälter zahlen lassen. Er hatte so viel Geld, dass er in seinem Klo einen Miró aufhängte.“ Jaime redet sich richtig in Rage. „Dabei
tat er nichts anderes, als einen Geldkoffer entgegenzunehmen und dafür nicht bebaubare Grundstücke in Baugrund zu verwandeln! Das Schlimme ist, dass
viele die korrupten Politiker nicht einmal verachten, sondern sie als harmlose Schlawiner sehen, die sie sogar bewundern.“
Wir machen noch einen Abstecher zum Luxushafen Puerto Banús, das spanische Pendant zu Saint-Tropez. Hier ballt sich der Reichtum der
Stadt. Motoryachten, eine größer als die andere, sind an den Anlegestellen vertäut. An Land reihen sich teure Restaurants und exklusive Boutiquen
aneinander. Auf einem schmalen Stück Straße lassen die stolzen Besitzer der Ferraris, Porsches und Aston Martins die Motoren aufheulen – um dann im
Schritttempo davonzutuckern; davor und dahinter stolzieren langbeinige Damen auf waghalsigen Pfennigabsätzen, untergehakt bei grauhaarigen, nicht selten
dickleibigen Männern. Auch ein paar Voyeure wie wir haben sich daruntergemischt, die mit unverhohlener Faszination das Spektakel verfolgen. Ob die Leser
der deutschsprachigen Zeitungen, für die ich zu schreibengedenke, auch eine elegante Villa hinter Puerto Banús besitzen, gleich neben
Antonio Banderas’? Oder ob sie in einem der grauen Apartmentblöcke an der Costa del Sol leben? Dass das warme Klima und das Meer so viele Deutsche an
die spanische Südküste gelockt haben, ist für mich in jedem Fall ein Vorteil. Denn die Trägheit der meisten Residenten, die Sprache ihres Gastlandes zu
erlernen, hat an der Costa del Sol einen Markt für deutschsprachige Medien geschaffen. Außerdem interessiert die Deutschen anscheinend sehr, was
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