Ein Jahr in Andalusien
Zwischenstopp einlegen. Der heutige Name
spielt noch auf die frühere Bestimmung des Geländes an. Coto heißt Jagdgebiet, und Doña Ana, die Gattin des einstigen Besitzers, des Herzogs von Medina
Sidonia, hatte ihre Residenz in einem Jagdschloss im Park. Bei meinen Nachforschungen über das Naturschutzgebiet finde ich auch heraus, dass es
Engländer waren, die sich zuerst um das Ökosystem an der Guadalquivirmündung sorgten. Ende des 19. Jahrhunderts kaufte ein britischer Sherryimporteur
das frühere Jagdrevier. Als Franco Ende der Fünfzigerjahre begann, Grundstücke am westlichen Rand von Doñana an Bauherren zu verkaufen, die große
Ferienanlagen errichteten, lud der Geschäftsmann englische Wissenschaftler zu einer Expedition in die Lagunenlandschaft. Der Besuch trug maßgeblich zur
Gründung der Naturschutzstiftung WWF bei, deren erstes Projekt die Rettung der andalusischen Lagunenlandschaft Doñana war. Die britischen
Wissenschaftler trommelten Spendengelder zusammen, mit denen sie siebentausend Hektar Land vor dem Griff der Tourismusunternehmen retten konnten. Im
Jahr 1969 wurden auch die Spanier auf ihr Juwelaufmerksam, sie stellten das vom WWF aufgekaufte Gebiet und weitere dreißigtausend
Hektar unter Naturschutz. Seit 1994 gehört der Park außerdem zum Weltkulturerbe der Unesco. Einmal im Jahr, an Pfingsten, ignorieren die Spanier den
Umweltschutz aber gründlich. Der Weiler El Rocío am Rand des Parks verwandelt sich dann in das Ziel der wichtigsten andalusischen Wallfahrt, zur Romería
zu Ehren der Jungfrau von El Rocío pilgern jedes Jahr Millionen von Gläubigen in Pferdekarossen quer durch den Nationalpark.
Vollgepackt mit Informationen setze ich mich ans Steuer meines Busses und mache mich auf in Richtung Südwesten. Die endlosen Olivenhaine der Provinz
Granada wechseln in Sevilla die Dehesas, die Eichenwälder, ab. Nach mehr als drei Stunden Fahrt quer durch Andalusien bin ich endlich an der
Autobahnausfahrt El Rocío angelangt. Der Naturpark ist nur mit Genehmigung zugänglich, aber der Wallfahrtsort liegt knapp außerhalb der Naturparkgrenzen
und ist deshalb mit dem Auto zu erreichen. Der Weiler sieht aus wie die Filmkulisse zu dem Western „Spiel mir das Lied vom Tod“. An staubigen
Sandstraßen reihen sich Holzhäuser, davor sind Holzpflöcke angebracht, an denen die Wallfahrer ihre Pferde anbinden. Nur hundert Menschen wohnen in El
Rocío. Dass sich hier im Mai eine Million Menschen zusammenfinden, kann ich mir beim Anblick der vier verlassenen Straßen kaum vorstellen. Keine
Menschenseele ist unterwegs, es gibt keine Bar, kein Geschäft, nichts. Nur staubigen Sand. Ringsherum weites, flaches Land. Ich flüchte aus dem
Gespensterdorf und steuere auf das nächste Besucherzentrum zu.
In El Acebuche bestätigt mir eine Dame, dass meinem VW-Bus die Sandstraßen des Nationalparks verschlossen bleiben. Sehr weit hätte ich mich mit meinem
klapprigen Gefährt auch nicht in die sandige Einöde gewagt. Aber leider ist der Park auch zu Fuß weitgehend unzugänglich. Nurwenige
Kilometer lange, ausgeschilderte Wanderwege führen von den drei Besucherzentren in das Naturschutzgebiet. Den Rest darf man nur an Bord eines
Geländewagens bei einer Führung erkunden. Ich frage die Frau an der Rezeption, wo ich die Aufzucht der Pardelluchse finde. Sie sieht mich etwas erstaunt
an und sagt dann, dass das Zentrum gleich gegenüber liege. Bis zu meinem Termin im Zentrum habe ich noch eine halbe Stunde. Ich folge einem der Wege in
die Dünenlandschaft, doch meine Aufmerksamkeit liegt bald bei den seltsamen Vögeln, die im Sand stolzieren.
Dann melde ich mich an der Pforte des Aufzuchtszentrums an. Ich warte keine fünf Minuten, da holt mich Astrid Vargas ab, sie ist Biologin und in El
Acebuche für das Aufzuchtsprogramm des Luchses verantwortlich. Am Telefon habe ich ihr schon von meinem Auftrag erzählt und sie hat begeistert
geantwortet, dass sie sich sehr über das Interesse freut. Jetzt steht sie mir gegenüber, bereit, mich ihren Luchsen vorzustellen. Vargas ist eine
kleine, energische Frau. Sie trägt sportliche Kleidung, kurze braune Haare. Der Pardelluchs ist ihre Herzensangelegenheit, die hellbraunen Augen
strahlen, wenn sie von ihm erzählt. „Im Jahr 2005 kam das erste Pardelluchsbaby in Gefangenschaft zur Welt. Das war ein Riesenerfolg. Denn uns bleibt
nur dieser Weg, um die Art zu retten“, sagt sie. Vargas führt mich in ein riesiges Gehege, hinter einem Zaun tollen zwei Luchsbabys, ihre
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