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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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Gesicht und mache mich auf den
Weg zu Esther. Bisher habe ich mich noch nicht an die Zubereitung des heimlichen spanischen Nationalgerichts gewagt, deshalb werde ich ihr nur
assistieren. Die Paella ist zwar die berühmteste Speise, aber in der eigenen Küche bereiten die Spanier am liebsten und am häufigsten das Eier-Omelette
mit Kartoffeln zu. Mit Leidenschaft diskutieren sie darüber, ob die Kartoffeln frittiert werden sollen, bevor sie zu der Tortilla-Mischung gegeben
werden oder nicht, ob die Eier am Ende fest gesotten oder doch lieber etwas flüssig sein sollen und ob die Zwiebel überhaupt dazugehört. Esther hat sich
für die Zwiebelversion entschieden und will zu der klassischen Mischung noch eine Portion Pisto, gekochtes Gemüse, geben. „Damit gewinnen wir!“,
behauptet sie siegessicher. Esther hat eine Schürze mit Blümchenmuster umgebunden, in der Hand hält sie einen Kochlöffel. „So kenne ich dich ja gar
nicht“, sage ich bei ihrem Anblick verblüfft. Die alternative Esther, die sich auf keinen Jungen festlegen will und am liebsten in den Bars des
Albayzin abhängt, hat sich in der Küche zur Hausfrau gewandelt. „In jeder Andalusierin steckt ‚una verdadera ama de casa‘“, sagt sie. Ich suche
vergeblich nach der Ironie in ihrer Aussage. Das passt so gar nicht zu dem Bild, das ich bisher von ihr hatte. Die Männer versorgende Mama scheinen
tatsächlich alle andalusischen Frauen verinnerlicht zu haben.
    Als wir mit Esthers Tortilla in der Bar eintrudeln, tummeln sich zu meiner Freude auch eine Menge Köche unter den Besuchern. Auch unser Freund Sami hat
ein Omelette gezaubert und hält uns das etwas verunglückte Geschöpf stolz unter die Nase. Es riecht penetrant nach Ei, er hat wohl die
Flüssigei-Variante gewählt. Wir reihen uns in die Schlange ein, um die Tortillas an der Bar abzugeben. Der Kellnergibt uns für jede
einen Zettel mit einer Nummer, die 25 und 26, und gleich ein Glas Alhambra-Bier vom Fass dazu. Er sagt uns, dass in etwa einer halben Stunde jeder ein
kleines Stück von jeder Tortilla probieren und sein Urteil fällen soll. Hinter uns warteten bestimmt noch zehn weitere Tortillas in der Schlange und ich
sehe unsere Cholesterinwerte in den Himmel steigen. Einen freien Tisch ergattern wir nur noch vor der Tür. Meinen Schal zurre ich noch fester um den
Hals und wünschte, das kalte Bier wäre ein dampfender Glühwein. „Das ist meine erste Tortilla“, sagt Sami mit unverhohlenem Stolz in der Stimme. Er
blickt uns auffordernd an, anscheinend erwartet er, dass wir ihn mit Anerkennungsschreien überhäufen. „Höchste Zeit“, sage ich. Damit hat er nicht
gerechnet, sein Lächeln gefriert. „Für mich war das eine echte Herausforderung“, versucht er es erneut. „Es sollte aber eigentlich ganz normal sein,
dass du eine Tortilla machen kannst. Das ist schließlich eines der einfachsten Gerichte der spanischen Küche.“ In jedes Wort lege ich eine ordentliche
Portion Entrüstung.
    Sami ist 33 Jahre alt, Mathematiklehrer und wohnt seit ein paar Jahren in einer Wohngemeinschaft im Zentrum von Granada. Seine Eltern leben in einem
Vorort, und nach Schulschluss nimmt er regelmäßig Kurs auf die Schlafstadt, um sich von seiner Mutter verköstigen zu lassen. Sami versucht es nicht
einmal zu leugnen. „Wie soll er denn kochen können, wenn er sogar seine Schmutzwäsche zu den Eltern bringt“, sagt Esther. „Meine Mutter freut sich,
wenn sie mir helfen kann. Außerdem weiß ich nicht mal, wie man eine Waschmaschine bedient“, kontert Sami mit ernster Miene. Ich bin sprachlos. Auch
Esther scheint bereit, mich zu schockieren, denn sie erklärt voller Ernst: „Meine Mutter sagt heute noch, dass sie stolz darauf ist, dass mein Bruder
nie etwas im Haushalt gemacht hat.“
    Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. DieGeschichte von Evas Familie hielt ich für eine Ausnahme. Doch es stellt sich heraus,
dass sie die Regel ist. Esther ist Mitte dreißig, genauso alt wie Jaime. „Das würde ja bedeuten, dass die Mütter die größten Machos von allen sind“,
sage ich. „Es ist vermutlich nicht so einfach, das abzulegen, was man dir jahrelang eingetrichtert hat“, versucht Esther das Dilemma zu
erklären. „Während der Franco-Diktatur war ja der einzige Zweck der weiblichen Existenz, dem Mann zu dienen. Vor dem Gesetz blieben sie quasi immer
Minderjährige.“ „Das weiß ich und deshalb dachte ich, dass die Frauen nach dem Tod des Diktator einen unglaublichen Freiheitsdrang

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