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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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wieder im
Hause sei, frage ich. Das könne sie mir nicht sagen, zwitschert die Dame. Als ich eine halbe Stunde später noch mal anrufe, sagt sie, jetzt etwas
ungehalten, der Herr seiimmer noch nicht zurück. Sie bietet an, meine Nummer aufzuschreiben, damit er mich zurückrufen kann. Doch auch
wenn ich den ganzen restlichen Vormittag mein Handy nicht aus den Augen lasse, klingelt es nur, als Jaime mich zum Mittagessen einlädt. „Verstehst du
das?“, frage ich ihn, als wir in einem kleinen Gasthaus sitzen, in dem zwei alte Damen Hausmannskost auf den Tisch zaubern. „Die müssten doch
eigentlich Interesse daran haben, dass man über sie schreibt.“ „Ich glaube, der Verantwortliche ist einfach ziemlich faul – so wie die meisten
Beamten. Am besten gehst du einfach direkt ins Rathaus und klopfst an seiner Tür.“
    Gesagt, getan. So schnell gebe ich nicht auf. Am nächsten Morgen um acht Uhr stehe ich an der Rezeption des Stadtarchivs, wo der Kulturstadtrat sein
Büro hat. Gelangweilt sagt die Dame, es sei noch niemand da. Ich setze mich auf eine Bank und warte. Eine halbe Stunde später, die Zeitung, die ich
mitgenommen habe, ist fast ausgelesen, kommt ein älterer, etwas rundlicher Herr hereingeschlurft. Die Empfangsdame flüstert ihm etwas zu, anscheinend
geht es um mich, denn der Mann dreht sich zu mir um und mustert mich. „Kommen Sie mit“, sagt er tonlos, und ich folge ihm zum Aufzug. „Sie schreiben
also für eine deutsche Zeitung.“ Ich erkläre ihm, dass ich freiberuflich tätig bin, gerade erst in Málaga angekommen und eine Geschichte über das
Projekt der Stadt, im Jahr 2016 Kulturhauptstadt zu werden, schreiben soll. Der ältere Herr ist nicht der Kulturdezernent, sondern der Beamte, der das
Projekt in dessen Auftrag betreut. Er setzt sich hinter einen schweren Holzschreibtisch, faltet seine Hände zusammen und sieht mich über den oberen
Brillenrand hinweg gelangweilt an. Nach einer Stunde habe ich das Gefühl, der Mann weiß gar nicht, wieso die Stadt Málaga das Zeug dazu haben soll,
Kulturhauptstadt zu werden, und er hat auch keine Ahnung,wie er die Kandidatur vorbereiten soll. Bisher hat er nur ein paar
Werbeplakate aufgestellt und das Logo des Projekts bei den üblichen Feierlichkeiten der Stadt sichtbar positioniert. An der Kandidatur arbeitet er ganz
allein. Als ich mich verabschieden will, kommt er hinter dem Schreibtisch hervor, beugt sich vertraulich zu mir und fragt: „Könnten Sie uns nicht ein
paar Berichte über die Projekte der Kulturhauptstädte der vergangenen Jahre schreiben?“ Ich bin nicht sicher, wie ich das Angebot auffassen soll. Meint
er etwa, ich sei bereit, aus reiner Liebe zu Málaga die Berichte zu schreiben? Oder will er mich dafür entlohnen? „Ja, sehr gern“, sage ich
deshalb. „Wie viele Berichte brauchen Sie und wie viel zahlen Sie pro Bericht?“ Der rundliche Herr windet sich und sagt schließlich umständlich, er
würde mich angemessen entlohnen. Das Angebot begeistert mich nicht, aber da ich noch lange nicht ausgelastet bin, sage ich zu. Zufrieden begleitet mich
der Herr nach draußen. Zu der Empfangsdame sagt er im Vorbeigehen, er gehe jetzt frühstücken.
    „Der hat bestimmt gedacht, du würdest das umsonst machen, um deine Chancen auf einen Posten im Rathaus zu erhöhen“, sagt Jaime später, als ich ihm von
der Episode erzähle. „Jeder in Andalusien ist scharf auf einen Beamtenjob. Du arbeitest fast nichts, verbringst den halben Vormittag beim Frühstücken,
musst nie Überstunden machen, hast regelmäßig Urlaub und bekommst auch noch alle drei Jahre eine Gehaltserhöhung.“ Seine Beschreibung passt meinem
Eindruck nach ziemlich gut auf den Sekretär des Kulturdezernenten. Bevor ich meinen vernichtenden Artikel über die Kandidatur der Stadt Málaga für den
Titel der Kulturhauptstadt bei der deutschsprachigen Wochenzeitung vorlege, bringe ich dem Beamten drei Berichte über Städte, die Málaga als Vorbilder
gelten können: Essen, Genua und Stavanger. Er ist wieder einmal nicht da, also hinterlasse ich die Berichte samt Rechnung der Sekretärin. Als ich ihr
dieUnterlagen übergebe, sehe ich auf dem Bildschirm ihres Computers ein Solitaire-Spiel.
    Umso mehr wundert es mich, als mich noch am gleichen Tag am Mittag der Herr aus dem Rathaus anruft, um sich bei mir zu bedanken. „Ich würde mich
freuen, wenn wir auch in Zukunft zusammenarbeiteten“, sagt er noch. Auch der Redaktion hat meine kritische Reportage gefallen, sie werden sie

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