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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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Altersstufen Designermode für jeden Anlass vor. Von der durchgestylten Armyjacke über das luftige
Sommerkleid bis zur eleganten Abendgarderobe ist alles vertreten. Die Stimmung wird immer ausgelassener, der Sekt fließt in Strömen. Ein Mann beginnt
sogar die anwesenden Damen mit dem edlen Tropfen zu bespritzen, jauchzend laufen sie davon. Der Abend überschreitet mein Vorstellungsvermögen. Ich
blicke auf die Uhr. In einer halben Stunde beginnt am anderen Ende der Stadt die Geburtstagsfeier, ich muss los. Schnell verabschiede ich mich bei
Veranstalterin und Psychologin. Meinen VW-Bus habe ich weit abseits abgestellt, er passte nicht wirklich neben die Mercedes, Porsches und Bentleys, die
vor der Villa vorfuhren.
    Das Panorama auf dem Parkplatz des Nobelrestaurants La Meridiana-La Notte, gelegen in einer der elegantesten Siedlungen Marbellas, sieht nicht anders
aus. Ein paarRolls-Royce haben sich hier noch dazugesellt. Als ich Anstalten mache dazwischen einzuparken, stürmt ein Mann in Frack
aufgeregt auf mich zu. „Der Parkplatz ist nur für geladene Gäste, der Personaleingang ist auf der anderen Seite“, sagt er aufgeregt, seine Stimme
überschlägt sich. „Ich habe eine Presseeinladung bekommen“, entgegne ich und bereue, dass ich meinen Bus nicht wieder ein paar Straßen weiter unten
abgestellt habe. Ohne zu antworten, macht der Mann auf dem Absatz kehrt und positioniert sich am Eingang der Disko; ein Rolls-Royce ist gerade
angekommen. Mit tiefer Verbeugung öffnet er die Tür. Ein greiser Herr steigt aus, in jedem Arm eine junge schwarze Schönheit. Der Frackträger parkt den
eleganten Wagen in bester Gesellschaft neben Porsche und Mercedes, während das Trio im Inneren des Dolce-Vita-Tempels verschwindet. Schnell steige ich
aus meinem Wagen aus und folge dem Trio, bevor der Portier mir weitere Fragen stellen kann. Mein Name steht auf der Gästeliste, und ein ebenfalls
befrackter Kellner führt mich zu einem Tisch, an dem bereits fünf andere junge, herausgeputzte Frauen sitzen. Sie alle schreiben für eines der
Hochglanzmagazine, die in Marbella und Umgebung Luxusprodukte anpreisen und der besseren Gesellschaft als Selbstdarstellungsplattform dienen. Ich finde
bald heraus, dass der Greis aus dem Rolls-Royce das Geburtstagskind ist. An seinem Tisch reihen sich neben den schwarzen Schönheiten noch mehr junge
Frauen aneinander, die in albernes Lachen ausbrechen, sobald der alte Mann ihnen etwas ins Ohr flüstert.
    Ich vertilge das köstliche Vier-Gänge-Menü, schieße ein paar Fotos und mache mich dann schnell aus dem Staub. Die Doppelpackung Auslandsdeutsche hat
mich von meiner Neugier kuriert, ich bete inständig, dass Nicole nicht vorhat, mich regelmäßig zu solchen Veranstaltungen zu schicken.Am nächsten Tag erzähle ich meiner Freundin Esther am Telefon von meinem Besuch beim ausländischen Jetset. „Ich würde so gern über ernsthaftere Themen
schreiben“, jammere ich gerade, da unterbricht sie mich jäh. Mit verschwörerischem Tonfall sagt sie, sie hätte da vielleicht etwas für mich. „Eine
befreundete Sozialarbeiterin, die in der Obdachlosenherberge von Málaga arbeitet, hat mir erst vor kurzem erzählt, dass immer mehr Deutsche und
Engländer zu ihr kommen.“ Sie macht eine theatralische Pause und fährt dann fort. „Viele hatten früher Arbeit und Wohnung, haben sich dann
verspekuliert und jetzt alles verloren.“ Das ist genau das, was ich gesucht habe. „Wie kann ich sie erreichen?“, frage ich Esther sofort. „Sie heißt
Leonor, und wir haben zusammen an der Universität von Granada studiert …“
    Wenige Tage später stehe ich gegenüber dem Obdachlosenheim in Málaga. Es ist ein grauer Kasten, umgeben von einem Eisenzaun. Ein etwa ein Meter breiter
Grünstreifen zwängt sich zwischen Kasten und Zaun. Das Gebäude hat den Charme eines Gefängnisses. An der Straße gibt es mehrere Bänke, auf jeder sitzen
und liegen Menschen, sie alle scheinen auf etwas zu warten. Unsicher gehe ich auf den Eingang zu, an der Pforte frage ich nach Leonor. Der Wachmann
sieht mich skeptisch an. „Sind sie Nutzer unserer Installationen?“, fragt er mich forsch. Da ich nicht sicher bin, ob Leonor bei der Direktion
angekündigt hat, dass eine Journalistin kommen wird, sage ich nur, dass ich eine Freundin bin.
    Kaum habe ich mich auf einem der Stühle im Eingangsbereich niedergelassen, höre ich schon meinen Namen. Vor mir steht eine kleine, schmale Frau mit
dunklen Locken und wachen Augen. Leonor ist

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