Ein Jahr in Andalusien
sie, nachdem wir die Schönheit ihres Patios ausgiebig gepriesen haben. Die Dame seufzt laut und
erklärt dann: „Nur die Gebäude, die zweiStockwerke haben, bei denen eine Eisentür vom Patio aus den Blick auf die Straße freigibt,
deren Fassade leicht asymmetrisch ist und deren Wände allesamt weiß gekalkt sind, gelten als ‚alt‘. Wie alt ein Haus wirklich ist, spielt bei der
Einteilung keine Rolle.“ Tatsächlich hatten Jaime und ich den Eindruck, in einem sehr alten Innenhof zu stehen, als wir hereinkamen. Alle Kriterien,
die die Frau aufgezählt hat, passen auf den ersten Blick auch auf ihren Patio. „Bei den ‚modernen‘ Patios ist meistens nur eine Kleinigkeit anders, bei
uns zum Beispiel ist eine Wand teilweise gefliest und nicht gekalkt“, fährt sie fort, in ihrer Stimmung klingt Enttäuschung mit. „Ist es denn besser,
als ‚alter Patio‘ zu gewinnen?“, frage ich sie deshalb. „Die Kategorie der alten Innenhöfe ist die Königsdisziplin des Festivals.“ Ihre Antwort kommt
wie aus der Pistole geschossen. „Für die Stadt ist die Unterscheidung sehr wichtig, denn die Tradition soll, soweit es geht, gewahrt werden. Jede
Veränderung, so heißt es, ist ein Kulturverlust“, sagt sie. „Die Preisgelder für die ‚alten Patios‘ sind deshalb auch viel höher als für die
‚modernen‘. “
Und mit unübersehbarem Stolz erklärt sie uns weiter, dass sie nicht das erste Mal einen Preis gewinnt. Regelmäßig zählte ihr Innenhof in den
vergangenen Jahren zu den schönsten in der ganzen Stadt. „Die Vorbereitungen für den Wettbewerb sind anstrengend“, sagt die zierliche Frau. „Jedes Mal
denke ich dann, nächstes Jahr tue ich mir das nicht mehr an. Aber wenn es wieder so weit ist, kann ich nicht widerstehen. Ich genieße das Ambiente des
Festivals sehr. Der Besuch des Auswahlkomitees in der ersten Festivalwoche ist sicher das Aufregendste für uns. Das Schönste aber sind die begeisterten
Besucher, die sich an unseren Blumen freuen. Für das Lob und die Anerkennung lohnt es sich, jedes Jahr wieder die Mühen auf mich zu nehmen.“ Sie
strahlt über das ganze Gesicht. Als ich sie frage, wie siees schafft, dass alle Blumen genau am Tag des Besuchs des Auswahlkomitees
besonders prächtig sind, antwortet sie kokett: „Meine Geheimtipps gebe ich natürlich nicht weiter.“ Zum Schluss will ich noch wissen, wie der
Patio-Wettbewerb begann. „Fragt in der Judería nach Josefa, sie ist von Anfang an dabei. Sagt, dass ihr von Isabel kommt.“
Draußen haben sich inzwischen die Touristenscharen des Gassengewirrs bemächtigt. Wie in der maurischen Blütezeit bieten in der Judería die Händler ihre
Ware feil. Nur dass es jetzt meist Katholiken sind, die bedruckte T-Shirts und Schürzen mit maurischen Symbolen verkaufen und in Teeräumen süßen grünen
Tee mit Minze servieren. Zielstrebig erfragen wir uns den Weg zum Patio von Josefa. Sobald wir von der geschäftigen Straße durch das Eisentor des Patios
treten, lassen wir die Hektik hinter uns. Ein kleiner Brunnen plätschert, und rosa, rote, blaue und gelbe Blumen in grünen Töpfen strahlen von der Wand
um die Wette. Bis unters Dach hängen auch hier die Blumentöpfe. Ein Besucher unterhält sich gerade mit einer etwa fünfzigjährigen Frau. „Einen Patio zum
Wettbewerb zu präsentieren bedeutet ein ganzes Jahr lang Arbeit“, sagt die Frau. „Im Herbst müssen die Pflanzen überwintert, zugeschnitten und gedüngt
werden. Im Winter werden die Wände gekalkt und die Töpfe neu lackiert. Und im Frühling beginnt dann die richtige Arbeit.“ Sie erzählt noch ausführlich
vom Umtopfen, vom Gießen und von der täglichen Pflege.
Als das Gespräch beendet ist, frage ich sie zaghaft: „Josefa?“ Die Frau runzelt ihre Stirn: „Wollen Sie mit meiner Schwiegermutter sprechen?“ „Isabel
hat uns geschickt. Sie meinte, Josefa sei der beste Ansprechpartner, um mehr über die Geschichte des Wettbewerbs zu erfahren“, sagt Jaime. „Sie müssen
wissen, dass meine Schwiegermutter schon achtundneunzig Jahre alt ist.“ Jaime und ich sehen sie entgeistert an. „Achtundneunzig?“, wiederhole
ich. „Und sie machtnoch die ganze Arbeit?“ „Früher hat Josefa immer gesagt, sie wolle nur einmal im Leben unter den Gewinnern sein,
dann werde sie aufhören. Aber auch wenn sie das vor ein paar Jahren geschafft hat, ist sie jedes Jahr wieder dabei. Es scheint wie eine Sucht zu sein“,
sagt ihre Schwiegertochter. „Die Vorbereitung ist zwar mühsam, aber
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